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Einladung zur Steuerhinterziehung

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Der neueste Rösch-Plan hat leider nur denjenigen Staub aufgewirbelt, der sich dann als Druckerschwärze niederschlägt. Gewiß: dieser Ministerentwurf zum Wehrersatzdienst ist an sich schon komischer als alles, was Kreisky und seine Humoristen bis jetzt geboten haben: Da will man, zum Beipiel, die infolge ihres geröteten Gewissens Frontuntauglichen an die Preisfront kommandieren, wo sie Gefahr laufen, zwar nicht den physischen, aber den moralischen Heldentod zu sterben; denn wie sollten gerade diejenigen, denen Staat und Volk als nicht verteidigungswert erscheinen, den Heroismus aufbringen, eine Anzeige zu erstatten, wenn sie für deren Unterlassung einen Tausender in die Hand gedrückt kriegen? Oder will ausgerechnet der Innenminister uns weismachen, daß ihm unbe kannt sei, wie im Ostblock die Geschäftsleute sich's richten, wenn ein regierungsamtlicher Naderer, als Zivilist verkleidet, das Kilogramm Brot gewogen und zu leicht befunden hat? Wenn ein Bundesminister der Republik Österreich hier ungarische Zustände einführen will dann soll er das, bitte, offen sagen!

Aber dieser Entwurf hat viel weitere Konsequenzen: In öster reich ist die Wehrpflicht, genau wie die Steuerpflicht, eine vom Gesetzgeber außer Streit gestellte Tatsache. Trotzdem wird die Wehrdienstverweigerung aus Ge Wissensgründen für zulässig er klärt, und zwar im Paragraph 25 des Wehrgesetzes, der aber offenbar verfassungswidrig ist; denn Artikel 14 des Staatsgrundgesetzes gewährleistet zwar die „volle Glaubens- und Gewissensfrei-hait", schränkt jedoch ein, daß „den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntnis kein Abbruch geschehen" darf. (Dieses Verfassungsgesetz stammt aus dem Jahr 1867, so daß unter „Religionsbekenntnis" der da mals noch nicht geläufige Begriff „Weltanschauung" ganz selbst verständlich fällt.)

Oder aber: die den Staat reprä sentierenden Gremien ringen sich, ohne Ansehung der Verfas sung oder nach Änderung derselben, zu der Auffassung durch, daß die Erfüllung der elementaren staatsbürgerlichen Pflichten tatsächlich Gewissenssache sei, also im letztlich unbegründbaren und eo ipso auch unanzweifelbaren Ermessen des einzelnen Staatsbürgers liege: dann hat natürlich jeder Staatsbürger das Recht, aus Gewissensgründen nicht nur seiner Wehrpflicht, sondern auch seiner Steuerpflicht sich zu entziehen: mit der dann plausiblen Begründung, er sei mit der Verwendung der Steuergelder in einzelnen Bereichen — zum Beispiel für die Bergbauern oder für die Entwicklungshilfe oder für Wissenschaft und Forschung oder für den Wohnhausbau und so weiter — nicht einverstanden, oder einfach mit dem Satz, ihn als Privatmann gehe dies ganze Gemeinwesen gar nichts an: da die einen es nicht zu verteidigen brauchen, brauche er es nicht zu finanzieren. So betrachtet, betreibt der Innenminister der Republik mit seinem Gesetzentwurf für den Wehrersatzdienst nichts anderes als die weitere Selbstauflösung.

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