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Enthüllen ist positiv

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Der Zufall wollte es, daß unmittelbar nach dem FURCHE-Offert zur Formulierung einiger Gedanken über „Positivjournalismus“ von der Gemeinde Wien erstmals offiziell einer der großen Skandale der vergangenen Jahre zugegeben wurde: Das sündteure „Rin- ter“-Mistwerk in Kagran ist ein totaler Flop.

Ich hatte vor genau zwei Jahren aufgedeckt, daß es sich beim gepriesenen Mistzelt um ein „Po- temkinsches Dorf“ handelte: Der Müll der Bundeshauptstadt wurde beim einen Tor hinein- und beim anderen Tor unverarbeitet wieder hinaus- und dann endgültig auf die Deponie transportiert. Die Gemeinde hatte sich verpflichtet, für diesen nutzlosen Umweg jährlich 126 Millionen Steuerschilling zu zahlen.

Nachdem bereits 109 Millionen verpulvert waren, wurde die Zahlung auf Grund der Enthüllung gestoppt.

Hadern und Lumpen, verschleuderte Millionen, Lügen, Ratten und Gestank: Gibt es überhaupt noch schärfere Zutaten für eine „negative“ Artikel-Serie? Dennoch meine ich, daß diese Enthüllung ein Musterbeispiel für richtig verstandenen Positivjournalismus ist: Es wurden Fakten statt Vorurteile geliefert, von den Bürgern wurde noch größerer Schaden abgewendet, und schließlich wurde die Grundlage dafür geschaffen, daß man sich nun allenthalben den Kopf über eine Lösung der gewaltigen Müll-Probleme zerbricht.

Letztlich: Berichte wie diese tun auch den Medien, die sie veröf- I fentlichen, gut. Die Exemplare gehen weg wie die warmen Semmeln, obwohl dieselben Käufer bei Meinungsumfragen flunkern, sie hätten die Schlagzeile „Heute kein Mord passiert“ viel lieber. Die heile „Gartenlaube“ würde binnen kurzem vom Markt verschwinden, weil mündige Leser die Welt in den Medien so wiederfinden möchten, wie sie ist und nicht, wie sie Illusionisten sehen möchten.

Ich -habe den Verdacht, daß noch allzu viele Korruptionisten, Lügner und Kinderschänder unbehelligt herumlaufen, als daß wir uns den Luxus leisten könnten, vornehmlich über die Dinge zu berichten, die in Ordnung sind. ,

In diesem Sinne wünsche ich auch den verehrten FURCHE-Le- sern: Nachdenkliche Weihnachten! GERALD FREIHOFNER

Der Autor ist stellvertretender Chefredakteur der „Wochenpresse“.

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