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Neuheiden begeistern

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FURCHE: Den Christen ist aufgetragen die Reichen der Zeit” zu deuten. Was sehen Sie als kennzeichnend für unsere Zeit an?

BISCHOF FLORIAN KUNTNER: Fragen wir zunächst, wie der Durchschnittsmensch heute lebt. Ich möchte die Worte oberflächlich und pragmatisch verwenden: Was täglich an ihn herankommt, das konsumiert er. Der moderne Mensch wird fortwährend von Äußerlichkeiten in Anspruch genommen. So scheint er zwar glücklich zu leben, kommt aber zu keiner Besinnung.

FURCHE: Wie wirkt sich das auf den Glauben aus?

KUNTNER: Im allgemeinen ist so etwas wie ein Restglaube vorhanden. Viele Menschen denken sich, daß es einen „Herrgott” schon geben wird. Aber mit uns Menschen hat dieser eigentlich wenig zu tun. Das ist natürlich kein Glaube im christlichen Sinn. Mit der Person Jesu Christi, geschweige denn mit seiner Gottheit, können die wenigsten etwas anfangen. Das heutige Gottesbild des Durchschnittsmenschen ist ein Rückfall in vorchristliche Vorstellungen.

FURCHE: Und wie steht es da mit der Einstellung zur Kirche?

KUNTNER: Ich habe den Eindruck, daß die Kirche in den Augen dieser Leute nicht ganz schlecht wegkommt. Aber sie wird auch unter dem Aspekt des Konsumierens gesehen. Man holt sie, wenn man sie braucht: Wenn Kinder zu taufen oder zu firmen sind, bei Erstkommunion und Eheschließung — und vor allem beim Begräbnis.

FURCHE: Und was kennzeichnet ihrer Ansicht nach das Zusammenleben der Menschen heute?

KUNTNER: Nach wie vor gibt es natürlich Familien, in denen „gute Beziehungen” vorherrschen. Aber vielfach wird auch das Zusammenleben der Menschen durch die erwähnte Oberflächlichkeit gekennzeichnet. Man schaut halt, daß es irgendwie funktioniert.

FURCHE: Und wie steht der einzelne zur Gemeinschaft?

KUNTNER: Mir kommt vor, daß es wenig Interesse für das politische Leben gibt, wenig Bewußtsein, daß der einzelne für das Geschehen im Staat Mitverantwortung trägt. Auch hier dominiert die Konsumhaltung, das Ausnützen von Vorteilen.

FURCHE: Wie könnte man unsere Zeit also zusammenfassend kennzeichnen?

KUNTNER: Man könnte sie als eine neuheidnische Zeit, eine Epoche des praktischen Atheismus bezeichnen — zumindest in Österreich. Gott spielt keine Rolle. Vordergründig hat man sich's gerichtet. Aber im tiefen Inneren spüren viele Menschen, daß das nicht reicht.

FURCHE: Ist das eine Chance für die Kirche?

KUNTNER: Ja. Eine wesentliche Aufgabe der Kirche bestände darin, die Menschen von der derzeitigen Oberflächlichkeit wegzuführen.

FURCHE: Müßten also die „Taufscheinchristen” zu einer Glaubensentscheidung geführt werden?

KUNTNER: Dieses Hinführen zu einer Entscheidung muß mit Geduld und Einfühlung geschehen. Wir müssen nachsichtig sein, niemanden exkommunizieren, müssen uns vor einer brutalen Pastoral hüten. Unser Bemühen muß immer von Liebe getragen sein. Dennoch müssen wir klarmachen, daß es um eine bewußte Entscheidung geht: „Steig ein, du wirst es nicht bereuen. Im Glauben findest du die einzige sinnvolle Form des Lebens!”

FURCHE: Also keine deutliche Abgrenzung der Entschiedenen”?

KUNTNER: Ich trete für eine einladende, nicht für eine ausladende Kirche ein. Warum? Weil wir ja im eigenen Leben immer wieder feststellen, daß die Grenze zwischen Glauben und Unglauben fließend ist. Jeder handelt doch immer wieder auch als nicht gläubiger Mensch, fast wie ein Heide.

FURCHE: Bleibt dann nicht alles beim alten?

KUNTNER: Einige Kriterien müßten wir schon in den Vordergrund stellen, die ein christliches Leben kennzeichnen: tägliches Beten (kann man von Gottesbeziehung sprechen ohne tägliche Zwiesprache mit Gott?), Eucharistiefeier, Buße, Bekehrung.

FURCHE: Viele sehen darin aber mühsame Pflichten und nicht lebensträchtige Chancen.

KUNTNER: Christen müßten eben erfahrbar machen, daß sie nach einer Botschaft leben, die froh macht. Dabei möchte ich aber auch zum Wort Verpflichtung stehen. Nichts im Leben macht man immer nur gern. Uberwindung gehört einfach auch zum Leben.

FURCHE: Und wie sehen Sie die Zukunft?

KUNTNER: Da bin ich sehr zuversichtlich, denn ich mache sehr viele positive Erfahrungen: etwa die große Zahl von Neubekehrten. Weiters gibt es viele Ansätze zu neuen Formen gemeinschaftlichen Lebens. Auch innerhalb einzelner Gemeinden bricht neues Leben aus dem Glauben auf. Unsere neuheidnische Umgebung bietet durchaus Chancen. Wir sind in einer ähnlichen Situation wie die ersten Christen.

FURCHE: Lebendiger Glaube also als die Hoffnung für die Welt?

KUNTNER: Ja, denn nur von Gott kommt den Menschen die Kraft zu, weiterzuhoffen und nicht zu verzweifeln. Menschliche Klugheit ist gut. Entscheidend aber ist die Kraft des Glaubens.

Mit dem Wiener Weihbischof Florian Kuntner sprach Christof Gaspari

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