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Die Kirche braucht stets Erneuerung

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Gott schenkt seiner Kirche neues Leben. Ein Zeichen dafür sind die zahllosen Aufbruchs- und Erneuerungsbewegungen: Menschen finden zu einem freudigen Glauben, leben aus dem Gebet, streben nach Einheit und tragen die Frohe Botschaft in die Welt.

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Gott schenkt seiner Kirche neues Leben. Ein Zeichen dafür sind die zahllosen Aufbruchs- und Erneuerungsbewegungen: Menschen finden zu einem freudigen Glauben, leben aus dem Gebet, streben nach Einheit und tragen die Frohe Botschaft in die Welt.

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FURCHE: Braucht die Kirche auch nach dem Zweiten Vatika-num Erneuerungsbewegungen?

BISCHOF FLORIAN KUNTNER: Die Kirche braucht immer Erneuerung. Bei uns im Westen ist sicher die Gefahr einer zu stark verwalteten Kirche gegeben. Es ist relativ viel Geld da, und man kann einen großen Apparat aufziehen. Man kann dabei aber leicht vergessen, daß Jesus Christus das Zentrum der Kirche ist, daß es erste Aufgabe der Kirche ist, diese Person, die Mensch und Gott ist, und seine Botschaft zu verkünden.

FURCHE: Sind die Erneuerungsbewegungen ein besonderes Merkmal unserer Zeit?

KUNTNER: Einer der größten Erneuerer war sicher Franz von Assisi, der in einer Zeit starker Verweltlichung der Kirche auf die geistige Macht hingewiesen hat. Erneuerung gab es also in der Kirche immer. Sie hat im Laufe der Zeit verschiedene Gesichter angenommen und wird das auch in Zukunft tun. Jedenfalls wird sie immer notwendig sein.

FURCHE: Was kennzeichnet die Aufbruchsbewegungen heute?

KUNTNER: Einerseits stellen sie eine bunte Palette von Ansätzen dar, andererseits lassen sich Gemeinsamkeiten beobachten, von denen mir sieben besonders auffällig erscheinen (siehe Kasten).

FURCHE: Wie steht die Aufbruchsbewegung zur kirchlichen Hierarchie?

KUNTNER: Inmitten einer erstarrten Kirche gab es charismatische Persönlichkeiten bis zur Spitze der Hierarchie, man denke nur an Johannes XXIII. Völlig spontan und von niemandem beeinflußt hat er das Konzil einberufen. Erneuerung wendet sich daher durchaus nicht nur an die Kirchenführung, sondern an alle

Christen, deren Haltung vielfach von Trägheiten, Erstarrungen und Hoffnungslosigkeiten geprägt ist.

FURCHE: Erinnern dieErneue-rungsbewegungen an die Reformation?

KUNTNER: Nein, denn es gibt weit und breit kein Anzeichen für eine Spaltung als Folge der Erneuerung.

FURCHE: Stehen diese Bewegungen also fest zur Kirche?

KUNTNER: Ja. Ich sage das, obwohl man die Erneuerung gar nicht so fest eingrenzen kann. Es gibt Bewegungen mit einer festen Form, etwa die Bewegung der Fo-kolare, die ein genaues Statut hat. Aber es gibt auch formlose, informelle, wie etwa die Wüstenbewegung.

FURCHE: In welcher Form existieren diese Bewegungen dann in der Kirche ?

KUNTNER: Sie haben einen kirchenrechtlichen Status, leben innerhalb der Kirche, und ich bin der Beauftragte der Bischofskonferenz für die Erneuerung. Wenn mich die Bewegungen brauchen, dann holen sie mich, und ich halte Verbindung zu ihnen. Andererseits halte ich die Bischöfe über bestimmte Vorgänge auf dem laufenden.

FURCHE: Und wie sind diese Gruppen entstanden?

KUNTNER: Am Anfang finden wir das Wirken entweder eines bestimmten Menschen oder — wie bei der charismatischen Erneuerung — einer Gruppe.

FURCHE: Sind diese Bewegungen Laienbewegungen?

KUNTNER: Uberall sind Priester mit dabei. Ich weiß, daß der Dienst der Priester da von großer Bedeutung ist. Ja, man findet in diesen Gruppen eine besonders enge und herzliche Beziehung zwischen Laien und Priestern.

FURCHE: Geht nicht ein Großteil der missionarischen A ktivität hier in Osterreich von den Erneuerungsbewegungen aus?

KUNTNER: Man muß da ein bißchen vorsichtig sein. Das von den Diözesen geführte Laienapo-stolat ist die Katholische Aktion. Nun ist es wohl so — und das finde ich sehr erfreulich —, daß es keinen Kampf zwischen dem traditionellen Laienapostolat, also der Katholischen Aktion, und den Aufbruchsbewegungen gibt. Vielfach ergänzt sich das: Da gibt es Leute, die in der Katholischen Aktion tätig sind und an einem Cursillo teilgenommen haben oder in der charismatischen Erneuerung einen Impuls für ein vertieftes Glaubensleben bekommen haben.

FURCHE: Hat nicht die letzte Bischofssynode davor gewarnt, daß neue Gruppierungen eine Art Nebenkirche in den Diözesen bilden könnten, und zu mehr Kontakt zu den Pfarren aufgerufen?

KUNTNER: Das stimmt. Dazu ist allerdings folgendes zu sagen: Hauptadressat war Italien, wo sich tatsächlich manche Gruppierungen neben den Pfarren und Diözesen entwickelt haben. In Osterreich gibt es solches höchstens als Einzelerscheinungen, daß Leute an der Pfarre vorbeidenken und -arbeiten. Zu 95 Prozent sind unsere Gruppen in das normale Kirchenleben integriert. Eine gewisse Eigendynamik muß ich allerdings verteidigen. In manchen Pfarren wird ein Mensch, der eine neue Spiritualität kennengelernt hat, empfinden, daß er von Zeit zu Zeit einen Ort braucht, wo er auftanken kann.

FURCHE: Trifft man in Pfarren nicht auch viel Mißtrauen gegenüber den Erneuerungsbewegungen an?

KUNTNER: Die meisten Pfarren erkennen bereits“ den Wert dieser Bemühungen und nehmen sie mit großer Freude auf. Einige sind allerdings unbelehrbar und auch unbekehrbar.

FURCHE:Inwiefern geben diese Bewegungen Antworten gerade für unsere Zeit ?

KUNTNER: Eines jedenfalls kann ich feststellen: Die Erneuerung interessiert die Leute. Warum interessiert es sie? Es ist nicht nur Neugierde. Vielmehr erleben sie dort Glauben in einer anderen Form. Sie werden ganz persönlich angesprochen, gehen eine ganz persönliche Beziehung zu Gott ein oder erleben eine unerwartete Vertiefung dieser Beziehung. Ich habe das selbst erfahren, mehrmals - und war damals schon jahrelang Priester.

FURCHE: Wie stehen die Erneuerungsbewegungen in der heute so viel strapazierten Polarität zwischen progressiv und kon-

KUNTNER: Ich finde, daß beide Richtungen vertreten sind. Es gibt Typen, die bewahren — und ich finde es sehr gut, daß es sie gibt. Und es gibt Typen, die voranstürmen und manchmal übersehen, daß man bestimmte Regeln einhalten muß, weil es sonst schiefgeht. Aber auch solche braucht man.

Es gibt also verschiedene Auffassungen. Ich habe aber noch nie erlebt, daß man sie nicht zusammenbringen kann. Wenn sie zusammenkommen und miteinander beten, merkt man nichts von einer Polarisierung. Das ist leider nicht überall in der Kirche so. Anscheinend gibt es mancherorts so etwas wie ein unüberwindliches Mißtrauen: Einer traut dem anderen nicht mehr. Und das ist tragisch.

FURCHE: Sind diese Gruppen also eher konfliktscheu?

KUNTNER: Ich hoffe nicht. Sie können aber vielleicht besser mit Andersartigkeit umgehen. Das fällt mir insbesondere bei der Fo-colare-Bewegung auf. Dort wird Liebe und Einheit stark betont. Unbehagen und Kritik werden da als eigene Herausforderung betrachtet, dem anderen in besonderer Weise zu dienen.

Das Gesprich führten Heiner Boberski und Christof Gaspari.

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