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Vor zehn Jahren hoffnungsvoller

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„Wir Sozialisten haben in Österreich praktisch nur einen großen Gesprächspartner, und das sind Sie!“ Bruno Kreiskys Werben um die Katholiken, sein Bekenntnis zum ehrlichen Dialog mit der Kirche, klangen bei der St. Pöltner Enquete „Katholiken und das neue Programm der SPÖ“ durchaus glaubhaft. Der eingeladene Weihbischof Florian Kuntner und andere nichtsozialistische Katholiken machten denn auch von der zu Recht gewürdigten' offenen Form der SP-Programmdis-kussion recht freimütig Gebrauch. Nüchternes Resümee von Kathpress-Chefredakteur Richard Barta, der bereits am 3. November 1967 - ebenfalls in St. Pölten - am ersten großen derartigen Gespräch teilgenommen hatte: „Vor zehn Jahren waren wir etwas hoffnungsvoller und illusionärer, wir haben einige Schwierigkeiten unterschätzt. Aber heute sprechen wir offener und ehrlicher.“

In seinem Hauptreferat („Zu einem Grundsatzreferat fühle ich mich nicht berufen“) verband Kreisky persönliche Erinnerungen an die positive Zusammenarbeit zwischen der sozialistischen Arbeiteijugend und dem Reichsbund der ka-

tholischen Jugend in den dreißiger Jahren mit distanzierenden Aussagen zum Kommunismus. Außerdem betonte er, daß es in allen katholischen Staaten Europas (Polen?) eine laizistische Mehrheit gebe, weshalb eine Politik der Öffnung zur katholischen Kirche nicht nur Vorteile, sondern auch heftige Kritik mit sich bringt.

Mehr zum Thema sprach Weihbischof Kuntner, dessen schon in der FURCHE gemachte Aussage, sein seelsorgliches Bemühen schließe den Bundeskanzler selbstverständlich ein, spontanen Applaus erntete. Vom Programmentwurf, der in etlichen Punkten von Christen durchaus zu unterstützen sei, wünschte sich Kuntner mehr Eindeutigkeit, speziell hinsichtlich der materialistischen Ideen von Marx und Engels, des Menschenbildes der Sozialisten und der Aussagen über Ehe und Familie, denn nach christlicher Auffassung ist die Familie nicht als „Teil der Gesellschaft“, sondern als deren Fundament zu betrachten. Gravierende

Auffassungsunterschiede konstatierte Kuntner bei der Entwicklungshilfe und natürlich vor allem bei Fristenlösung und Scheidungsre-

form. Es frage sich, ob die Rechtsordnung nur dazu da sei, Faktisches zu kodifizieren, oder ob sie nicht auch lenken

sollte. Er schloß mit der Erklärung, die Kirche werde kein« Wahlempfehlungen abgeben aber eesellschaftsnolitisrh ak.

tiv bleiben: „Wir wollen und können uns nicht in Kirche und Sakristei zurückziehen.“

Weitgehende Einigkeit herrschte darüber, daß kein Gespräch zwischen Sozialisten und Katholiken, sondern zwischen' sozialistischen und nichtsozialistischen Katholiken stattfinde (wobei der Bundeskanzler offenbar vergessen wurde). Herbert Saldier, Vorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialismus“ (ACUS), empfand die Formel vom „Stück Weges“ als Christ in der SPÖ geradezu als „beleidigend“ („Soll ich mit mir selber ein Stück Weges gehen?“). Als sich die Reihen im Saal schon etwas gelichtet hatten, zeigte ein Redner wieder die Kluft zwischen Kirche und SPÖ auf, als er betonte, daß zum Christentum nicht nur ein soziales Anliegen, sondern auch ein Gott, Jesus Christus und die Zehn Gebote gehören, zu denen die sozialistische Praxis ein eher fragwürdiges Verhältnis habe. Wie der kurze, aber lebhafte Beifall zeigte, sprach dieser Redner nur wenigen, diesen aber umso mehr aus dem Herzen. Um diese Gruppe werden die Sozialisten wohl noch lange werben...

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