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Sarajewo: Ein Ei um 150 Schilling

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Später als andere unabhängige Republiken hat nun auch Bosnien-Herzegowina eine eigene Währung: seit vergangenen Montag zirkuliert der „bosnien-herzegowinische Dinar". In den serbisch-besetzten Gebieten ist jedoch weiterhin der „jugoslawische Dinar" in Umlauf, wenn auch nicht der gleiche wie in Serbien und Monte Negro. In der Herzegowina - vorwiegend von Kroaten bewohnt - können alle Transaktionen mit dem „kroatischen Dinar" durchgeführt werden.

Wer Deutsche Mark hat, ist trotzdem besser dran. Mit dieser Währung läßt sich noch am leichtesten einkaufen. Aber was? Fast kein Geschäft hat offen. Und wenn, dann gibt es Eßbares meist nur zu hohen Preisen. Ein Ei kostet in Sarajewo umgerechnet bereits 150 (!) Schilling, ein Kilo Kartoffel 30 Schilling und mehr. Sogar Brennesseln werden schon zu Höchstpreisen verkauft; der Schwarzmarkt floriert.

Woher kommen die - wenn auch nur spärlich vorhandenen - Güter? Von nirgendwo. Oder besser gesagt, man weiß es nicht so genau. Die Lager sind leer. Es gibt nichts mehr, heißt es

streiten um leere Wasserkanister

immer wieder bedauernd. Viele Menschen überleben nur dank der humanitären Hilfe aus dem Ausland.

Bei all dem Elend geschieht manchesmal auch Tragikomisches: Als

kürzlich in Sarajewo wieder der Strom ausfiel, taute das vorhandene eingefrorene Gemüse und Fleisch auf. Die Menschen wußten schnell Rat. Tagelang fanden auf der Straße „Barbecues" mit offenen Feuerstellen statt, jeder mußte essen, soviel er konnte, bevor die kostbaren Lebensmittel verdarben. Danach gab es dann tagelang nichts.

In Kroatien ist die Situation etwas besser; die Wirtschaft scheint stabiler zu sein, als dies Experten erwarteten. Die meisten Menschen müssen zwar mit niedrigen Löhnen auskommen, es gibt ein Heer von Arbeitslosen und ständig steigende Nahrungsmittelpreise. Für die Flüchtlinge aus den benachbarten Kriegsgebieten werden bereits 20 Prozent des Budgets ausgegeben. Soziale Unruhen sind jederzeit möglich. Trotzdem gestattet es die Lage, an der nordadriatischen Küste eine Tourismussaison zu beginnen, um wenigstens ein paar der dringend benötigten Devisen zu verdienen.

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