6860063-1977_32_11.jpg
Digital In Arbeit

Taschenbücher: Bestseller als Ladenhüter

Werbung
Werbung
Werbung

Bei der lateinamerikanischen Literatur ist auch der bessere Leser hierzulande mit seinem Latein zu Ende. Der Bücher-Boom von dort hat mit seinen Millionenauflagen zwar den Weltmarkt überschwemmt, aber sozusagen nur die Küste des deutschen Sprachgebietes gespült. Besonders eifrige, mit allen Wassern gewaschene Schwimmer wissen also ein wenig Bescheid. Linksorientierte Bücherfreunde kennen zumindest zum Teil die urvitale Lyrik des Nobelpreisträgers 1971, Pablo Neruda, eifrige Romanleser wenigstens von der Prosa des Nobelpreisträgers 1967, Miguel Asturias, einiges, und wer sich gern an schwierige Texte macht, hat vielleicht das eine oder andere des anspruchsvollen Lyrikers, Erzählers und Essayisten Jorge Luis Borges gelesen, der als erster die genaueren Literaturbeobachter aufhorchen ließ, als er 1961 (gemeinsam mit Samuel Beckett) durch den internationalen Verlegerpreis Formentor ausgezeichnet wurde.

Das sind die angesehensten und noch nicht einmal die am meisten verbreiteten Autoren. Aus der großen Zahl lateinamerikanischer Erfolgsschriftsteller ragen seit Jahren „die großen Vier” heraus, mit regelmäßigen Vorabdruk- kenfür ungeduldig Wartende (Auflagen mit sechs- und siebenstelligen Verkauf sziffern), deren Privatleben und Interviewäußerungen in der nichtdeutschen Presse laufend kolportiert werden: Der Kolumbianer Gabriel Garda Märquez, dessen Roman „Hundert Jahre Einsamkeit” (FURCHE 50/1970) die Millionenmarke längst überschritten hat, der mexikanische Diplomatensohn und Botschafter in Paris, Carlos Fuentes, der Argentinier Julio Cortäzar und der Peruaner Mario Vangas Llosa. Nicht zu reden von weiteren vielübersetzten Autoren mit internationalem Erfolg, Adolfo Bioy Casares, Alejo Carpentier, Juan Rulfo, Augusto Roa Bastos, Manuel Piug und vielen anderen. Das Rätsel ihrer Berühmtheit über die Heimatgrenze hinaus ist weniger groß als das ihres geringen Bekanntheitsgrades beim deutschlesenden Publikum, dessen Neugier über englische, französische und russische Literatur nicht recht hinauswill. Von den Verlegern wurden wiederholt Anstalten gemacht, diese Riesensparte heutiger Weltliteratur auch bei uns bekannt zu machen; es war vergeblich. Der neueste Versuch, groß aufgezogen, war die Frankfurter Buchmesse 1976, welche das lateinamerikanische Schrifttum in den Mittelpunkt stellte.

Auch eine 400-Seiten-Ubersicht als Taschenbuch (Suhrkamp) ist zu haben, „Materialien zur lateinamerikanischen Literatur”, von Mechtild Strausfeld herausgegeben: Ein Dutzend Autoren wird biographisch, bi- bliograhphisch und literaturkritisch vorgestellt und soll auf die übrigen neugierig machen. Dazu eine Reihe von Suhrkamp-Taschenbüchem lateinamerikanischer Autoren: „Das grüne Haus” von Mario Vargas Llosa (1936 geboren) - Name eines Bordells, aber als Buchtitel kritisierendes Symbol; es wird zum Mythos, mit dem die Realität der 5 Hauptgeschichten konform geht. „Nichts als das Leben” von Carlos Fuentes (1928), Retrospektive eines im Sterben liegenden Abenteurers. Er kam von ganz unten weit hinauf, ein Tatmensch, der erst in seiner plötzlichen Hilflosigkeit zurückdenkt. Die Agonie hat dieses Erinnern gespalten. Manuel Puig (1932) hat seinen besonders in den USA erfolgreichen Romanerstling „Verraten von Rita Hayworth” als denunzierenden Phrasenschatz konzipiert. Es gibt keinen „Erzähler”; die Menschen reden und schreiben im Filmjargon, die Kinoleinwand’Wird zur geistigen Wand, die den Horizont aller begrenzt. „Der Cimarrön” von Jose Donoso (1924), der in „Ort ohne Grenzen” ein chilenisches Dorf als Allerweltsort darstellte, wo die Hierarchie der Mächtigen und die Rebellion der Ohnmächtigen gegen sie symbolisch verstanden sein wollten, erzählt, in Form eines Tonbandprotokolls, in „Der Cimarrön” „die Lebensgeschichte eines entflohenen Negersklaven aus Kuba, von ihm selbst erzählt”: ein 104jähriger erinnert sich (im Jahre 1971) authentisch an den historischen Hergang der gesellschaftlichen Entwicklung.

MATERIALIEN ZUR LATEINAMERIKANISCHEN LITERATUR. 384 Seiten, öS 69,30.

DAS GRÜNE HAUS. Von Mario Vargas Llosa. 433 Seiten, öS 69,30.

NICHTS ALS DAS LEBEN. Von Carlos Fuentes. 304 Seiten, öS 61,60.

VERRATEN VON RITA HAYWORTH. Von Manuel Puig. 283 Seiten, S 61,60.

DER CIMARRÖN, Von Jose Donoso. 257 Seiten, öS 53,90. Alle: Verlag Suhrkamp, Frankfurt a. M., 1976.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung