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„Unmenschwer dung“

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In seinem Artikel „Wann beginnt wirklich das menschliche Leben?“ (FURCHE 30/1986) befaßt sich Johannes Huber von der 1. Wiener Universitätsfrauenklinik auf sehr informative Weise mit der Fragestellung, wann genau die „Menschwerdung“ im naturwissenschaftlichen Sinn angesetzt werden könne.

Dabei meint der Autor in seiner Schlußfolgerung, daß „der Zeitpunkt der Menschwerdung naturwissenschaftlich gesehen an jenem Punkt zu liegen scheint, in dem die molekularbiologischen Veränderungen den von beiden Elternteilen stammenden genetischen Code so aufbereitet haben, daß dies den endgültigen Computerbauplan des Kindes darstellt.“

Daraus folgt konsequenterweise, daß alles vorher, insbesondere der - wie Huber eindrucksvoll darstellt - durchaus zeitintensive Prozeß der Vereinigung von Ei-und Samenzelle, offenbar nicht zur „Menschwerdung“ zählt.

Dagegen muß auch der naturwissenschaftliche Laie Bedenken vorbringen, die freilich keineswegs naturwissenschaftlicher, sondern vielmehr wissenschaftstheoretischer, methodischer und vor allem terminologischer Natur sind.

Huber setzt nämlich den Begriff der „Menschwerdung“ offenbar mit dem Zeitpunkt der Individualisierbarkeit eines bestimmten Lebewesens gleich und ortet sie deshalb gegen Ende eines von ihm naturwissenschaftlich beobachteten biologischen Prozesses, der freilich - und dies läßt er ja unbestritten - mit der Verschmelzung der Keimzellen beginnt, und der von diesem Zeitpunkt an von sich aus - laienhaft gesprochen „automatisch“ - weiterläuft.

Daran kann auch der Umstand, daß man von vornherein nie sagen kann, ob der Prozeß auch wirklich zu Ende läuft, oder ob er etwa zu Mißbildungen führt, nichts ändern.

Die von Huber gewählte Terminologie ist insofern in gefährlicher Weise mißverständlich, als der Zeitpunkt der frühestmöglichen naturwissenschaftlichen Erkennbarkeit bestimmter Stadien der „Menschwerdung“ nichts mit dem Beginn dieses Prozesses zu tun hat, der nun einmal mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle gegeben ist.

Damit hat „menschliches Leben“ seinen Anfang genommen, auch wenn man zu diesem Zeitpunkt naturgemäß noch nicht sagen kann, ob der dynamische Prozeß der Menschwerdung zu einem, zwei, drei oder aber zu gar keinem Menschen führt.

Insofern hat der Zeitpunkt der naturwissenschaftlichen Erkennbarkeit des „endgültigen Computerbauplans des Kindes“ kaum größere Bedeutung als beispielsweise der Zeitpunkt der frühestmöglichen Erkennbarkeit von Organen beim Embryo.

Als naturwissenschaftlicher Laie wäre man dem Mediziner Huber dankbar für eine Klarstellung, die verhindert, daß — wie immer wieder geschehen — rein naturwissenschaftlich verstandene .Abstufungen“ im Prozeß der „Menschwerdung“ automatisch auch als Abstufungen im Wert des sich entwickelnden menschlichen Lebens (miß)verstanden werden.

Dazu wollte der Naturwissenschafter Huber, der auch theologisch versiert ist (er war früher Sekretär von Kardinal Franz König), sicherlich keinerlei Anlaß geben. Es wäre schade, wenn seine Forschungsergebnisse im Sinne derjenigen mißbraucht werden, für die der Wert menschlichen Lebens von seinem jeweiligen Entwicklungsstand abhängt.

Das menschliche Leben ist in allen Stadien der „Menschwerdung“ etwas Absolutes. Dort, wo man auch nur im geringsten versucht, es nach bestimmten Entwicklungsstufen auch wertungsmäßig zu relativieren, beginnt die „Unmenschwerdung“.

Diese freilich ist auch ein dynamischer Prozeß und bietet vielfach Gelegenheit zur Umkehr, was hoffen läßt. Es sind nicht wenige Naturwissenschafter, die eine solche Gelegenheit auch schon genützt haben.

Der Autor ist Assistent an der Juridischen Fakultät der Universität Wien. “,u“-alscnen

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