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„Der Marboe tragt halt so selten den Trachtenanzug ...“

So kommentierte im ORF-Zentrum auf dem Hietzinger Küniglberg ein Beobachter die eigenartigen Vorfälle bei der Bestellung eines künftigen Intendanten für das ORF-Studio Niederösterreich. Der bärtige Bewerber Ernst Wolfram Marboe jedenfalls war nicht zur Diskussion gestanden. Dafür war sein Gegenkandidat durchgefallen.

Die Vorgeschichte ist bekannt: Nach der Übersiedlung des Intendanten Kurt Bergmann in die ÖVP-Bundesparteileitung mußte ein neuer niederösterreichischer Studiochef gekürt werden. Landeshauptmann Maurer plädierte nach langem Hin und Her für Redakteur Ernst Exner, die Betriebsräte und auch ORF-Chef Oberhamrner für Ernst Marboe. Eine groteske Situation war entstanden: zwei Mitglieder der ÖVP, zwei Mitglieder des Cartell-verbandes standen sich gegenüber.

Doch Exner fiel in der entscheidenden Kuratoriumssitzung durch, weil ein Teil der ÖVP-Vertreter gegen ihn stimmte — und auoh die der ÖVP nahestehenden Betriebsräte im ORF.

Nach dem Patt ist der Casus zu einer Prestigefrage geworden. Aber Kenner der Situation fragen sich ernstlich, ob man nicht doch schon in allernächster Zeit vernünftig einlenken wird. Denn gegen Ernst Marboe, der sicherlich die erforderliche Kuratoriumsmehrheit erhalten würde, spricht sich — von Mann zu Mann — auch in der niederösterreichischen ÖVP überhaupt niemand aus. Marboes wirklicher Mangel: er ist kein konventioneller Typ, kein einfacher Partner, kein fleißiger Auftragserfüller.

Der heute 38jährige Ernst Wolfram Marboe trägt einen berühmten Namen; sein Vater war jener Chef der Bundestheaterverwaltung, unter dessen Amtsführung 1955 Staatsoper und Burgtheater eröffnet wurden. Ernst Marboe senior war aber auch Autor jenes Bestsellers seit 20 Jahren — genannt „österreichbuch“, das der in mehrere Sprachen übertragene Erstling unter den repräsentativen Austriaca war.

Der junge Ernst Wolfram wurde vom musischen Vater (und einer nicht weniger musischen Mutter) sehr früh mit dem Element bekanntgemacht, in dem er heute arbeitet:der Welt der Literatur und der Kunst. Noch als Student der Theaterwissenschaften begründete Marboe das „Wiener Studententheater“.

Marboe blieb freilioh unkonventionell: er trat dem CV bei und nahm es geradezu masochistisch auf sich, unter seinesgleichen Spott und spitze Aggression zu finden. Während Wiens Künstlerszene nach links rutschte, trat Marboe der ÖVP bei. Heute trägt er sogar die goldene Ehrennadel des ÖAAB.

Er führte Regie bei drei Nationalfeiertagsveranstaltungen der Bundesregierung (in der Ära Klaus) und inszenierte die Ton-Bild-Schauen über Bundes- und Landesparteitage der ÖVP — zuletzt 1975 in Wien.

Nach Anfängen als freier Mitarbeiter im ORF baute Marboe schließlich das Studio Niederösterreich zur stärksten Bastion eines ziemlich vernachlässigten Genres aus: des Hörspiels. Von ihm gingen zahlreiche Initiativen aus, großartige Hörspielproduktionen verdanken ihm das Entstehen, und ein Großteil der Autoren fand in Marboe einen aufgeschlossenen Gesprächspartner. Er inszenierte auch im Fernsehen und führte zwischendurch Regie — vor allem in Graz und schließlich sogar im Ausland, im fernen Ankara, von wo ihm eine neue Einladung ins Haus steht: die „Fledermaus“ auf türkisoh...

Die ORF-Dienstnehmer lernten Marboe, den sie zum Betriebsrat wählten, als harten Kontrahenten des mächtigen Generalintendanten Bacher kennen, mit dem ihn außer verwandter politischer Grundeinstellung nicht allzuviel verband. Und er scheute sich auch nicht, nach der Wahl Otto Oberhammers den neuen ORF-Chef hart und in aller Offenheit zu kritisieren.

Daß das ÖVP-Mitglied Marboe im ersten Anlauf nicht der Kandidat seiner Parteifreunde im niederösterreichischen Landhaus ist, stört ihn bislang wenig. Der Organisator des Tullner Kulturbazars und auch beauftragter Herausgeber der CV-Zeitschrift „Academia“ hofft nur, daß im Interregnum in sein Landesstudio nicht. der Chef des Wiener Studios, der selbstverständlich Sozialist ist, hineinregiert. Marboe pflegt mittlerweile mit Exner demonstrative Freundschaft. Und dieser ist sich selbst klar, daß das Kuratorium nicht — so mir nichts, dir nichts — einfach doch ihn wählen wird. Beide hoffen jetzt vor allem auf Vernunft unter den Politikern und den ORF-Gewaltigen.

Ernst Wolfram Marboe weiß schon, was er auch bleibt, wenn er — allen Voraussagen zum Trotz — „es“ doch nicht wird: ein exzellenter Mediengestalter und der Besessene eines kulturpolitischen Auftrags: bessere Programme zu machen.

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