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Der Weg des Sozialismus

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„WEGWEISER“, von Max Adler, Verlag der Wiener Volksbuchhandlungen, Wien 1965, 249 Seiten, S 69.-.

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„WEGWEISER“, von Max Adler, Verlag der Wiener Volksbuchhandlungen, Wien 1965, 249 Seiten, S 69.-.

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Neben Karl Renner und Otto Bauer war Max Adler die dritte große Säule des Austromarxismus. Sein Verdienst war es, in großem Umfang eine Versöhnung des Marxismus mit dem philosophischen Idealismus, mit der Ethik Kants versucht und damit eine eindeutige Abgrenzung gegenüber einem platten Vulgärmaterialismus erreicht zu haben. Max Adler war daher besonders legitimiert, den Faden der gesellschaftspolitischen Ideen, die etwas nebulös „sozialistisch“ genannt werden, ein Jahrhundert vor Karl Marx aufzugreifen und ihm bis zu Marx und Engels zu folgen. Es ist ein Sozialismus, den orthodoxe Marxisten gerne im gesicherten Bewußtsein eigener „Wissenschaftlichkeit“ den „vorwissenschaftlichen“ oder „utopischen“ nennen. Norbert Leser vermerkt in seinem Vorwort dazu mit Recht, daß die Marxsche Auffassung von der unbedingten Determiniertheit der historischen Entwicklung den marxistischen Sozialismus manchmal viel utopischer erscheinen läßt als den sogenannten utopischen

Max Adler setzt bei Rousseau ein und hebt seine Kritik an der ökonomischen Ungleichheit hervor, die mit der Institution des Privateigentums verknüpft Ist. Über Schiller, dessen Auffassung vom Staat eine frühsozialistische genannt werden kann, führt Adlers Weg zu Kant, zu dem er ja in einem besonderen Näheverhältnis stand. Der kategorische Imperativ wird als geistige Wurzel jeder sozialen Aufstiegsbewegung und als „Vehikel des Fortschritts“ gesehen. Nach Fichte, dessen Erziehungsplan einer „sozialen Neuschaffung eines Volkes“ sozialistische Züge trägt, wird mit der widerspruchsvollen Gestalt des Grafen Saint-Simon der erste eigentliche utopische Sozialist behandelt. Bei Owen sieht Max Adler den Übergang vom bloßen Utopismus zum Sozialismus mit dem Schritt von der Spekulation zur Tat bereits vollzogen. Weitling fügt dem bisherigen Sozialismus die Artikulation des Klassenkampfes hinzu. Feuerbach vermengt das soziale Postulat der frühen Sozialisten mit dem Atheismus und verursacht so geistesgeschichtlich den Bruch zwischen Sozialismus und Religion. Bei Stir- ner vollzieht Adler eine marxistische Ehrenrettung, indem er ihn vom Vorwurf des Anarchismus reinwäscht. Hier schreibt Max Adler den bedeutsamen Satz, daß die „konsequente Verneinung jeder Herrschaftsorganisation“ ein Element des Sozialismus sei. Die letzte Station vor dem Marxismus ist Laissalle, dessen eindeutig idealistische Geschichtsphilosophie größtmögliche politische Effektivität hervorgebracht hat. Dann ist Max Adler beim jungen Engels und beim dialektischen Verhältnis zwischen Marx und Hegel angelangt (Marx’ berühmter Satz wird zitiert, er habe Hegel „vom Kopf auf die Füße“ gestellt), und der Marxist Max Adler sieht die geistige Kette des Sozialismus den Kulminationspunkt erreichen.

Max AdJier erweist sich gerade im vorliegenden Buch als Revisionist und als Marxist zugleich. Er sagte sich los von einem naiven Materialismus, indem er an Kant eine sozialistische Taufe vollzog, und er war konsequenter Marxist auf dem Gebiet der Staatslehre, öffnete der Geschichtsphilosoph Max Adler dem Sozialismus die Tore in die Zukunft, so wurde der Staatspihilosph Max Adler durch den Weg des Sozialismus selbst Widerlegt, der den Staat nicht abzuschaffen, sondern im Sinn Renners zu seinem Instrument zu machen sucht.

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