"Die Warnung steht"

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Jens Meincke warnte vor einigen Jahren vor einer Eiszeit in Europa. Gilt die Warnung noch? Konnte sie zurückgenommen werden?

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Jens Meincke warnte vor einigen Jahren vor einer Eiszeit in Europa. Gilt die Warnung noch? Konnte sie zurückgenommen werden?

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dieFurche: Sie haben vor einigen Jahren vor der Möglichkeit einer neuen Eiszeit in Europa als Folge der globalen Erwärmung gewarnt. Gilt die Warnung noch?

Jens Meincke: Dieser Mechanismus ist physikalisch vollkommen korrekt, da hat sich überhaupt nichts daran verändert. Wir mußten aber noch nicht feststellen, daß durch das Schmelzen von Grönlandeis inzwischen so viel Süßwasser in die Grönlandsee gekommen ist, daß die Konvektion total unterbrochen worden wäre. Sie ist aber in den letzten Jahren sehr schwach geworden.

dieFurche: Kann man sagen, um wieviel der Salzgehalt abgenommen hat?

Meincke: Wenn ich Ihnen sage, daß er als Mittel über die oberen, sagen wir, 600 Meter Meerestiefe von 34,95 auf 34,93 Gramm pro Liter abgenommen hat, das ist ungefähr der Bereich, haben Sie ja kein Gefühl dafür, was das bedeutet. Tatsächlich ist der Salzgehalt eindeutig geringer geworden, wir haben einen erhöhten Süßwasserausstrom aus dem arktischen Ozean und sehen, daß sich ein Teil dieses Süßwassers in den oberen Schichten der Grönlandsee wiederfindet. Dadurch hat die Produktion von Tiefenwasser in den letzten zehn bis 15 Jahren laufend abgenommen.

dieFurche: Wie hat sich das in den letzten Jahren weiter entwickelt?

Meincke: Es ist einfach so weitergegangen. Wir haben damals gesagt: Wenn es auf der Nordhalbkugel wärmer wird, können wir dadurch, daß die Tiefwasserbildung in der Grönlandsee durch zu große Mengen von Frischwasser unterbrochen wird, eine regionale Abkühlung herbeiführen. Dies gilt unverändert. Die Deckschichtwassermassen in der Grönlandsee werden weiter ausgesüßt.

dieFurche: Was kann man über das Ausmaß und den Zeitablauf einer solchen Abkühlung sagen?

Meincke: Wir wissen nur, daß sehr starke Veränderungen sehr rasch erfolgen können. Solche Umschwünge können innerhalb einiger Jahrzehnte erfolgen. Informationen über solche Vorgänge können wir im Grunde nur den Eis- und Sedimentbohrkernen entnehmen. Wann die Veränderungen auftreten, wie sie ablaufen, das ist die Frage.

dieFurche: Wie groß ist die Gefahr?

Meincke: Das System bleibt jeweils stabil - und dann klappt es um. Die Frage ist: Wann erreicht man diesen Punkt? Die Temperatur geht nicht langsam herunter. Sie hält sich längere Zeit - und dann zack. Auf einmal. Aber die Stabilität des Systems ist einfach nicht hinreichend bekannt.

dieFurche: Sie haben von 50 Jahren gesprochen.

Meincke: Innerhalb von 50 Jahren kann das tatsächlich passieren.

dieFurche: Was verraten uns die Bohrkerne?

Meincke: Besonders gut dokumentiert sind die Abläufe beim Übergang von der letzten Kaltzeit zur jetzigen Warmzeit. Da ist es erst warm geworden, dann ist das Klima schlagartig, in zwei oder drei Jahrzehnten, wieder auf das Temperaturniveau der Kaltzeit zurückgefallen, es war dann wieder einige Jahrzehnte kalt und ist erst dann wieder warm geworden. Dies ist etwa 11.500 Jahre her und ist, nach unserer Meinung jedenfalls, durch das beginnende Schmelzen der arktischen Eismassen ausgelöst worden. Dieses Abschmelzen hat dafür gesorgt, daß in der Grönlandsee die Konvektion unterbrochen worden ist.

dieFurche: Was sagen die Modellrechnungen über die heutige Situation?

Meincke: In Modellen kann man ja viele Annahmen über die Stabilität des Systems voraussetzen, aber wir kommen mit ihnen nicht weit genug an die Realität heran.

dieFurche: Nicht zuletzt die Unsicherheit der Vorhersagen hat dazu geführt, daß sie generell in Frage gestellt werden. Es gibt Stimmen, alles sei nicht so schlimm.

Meincke: Meine Antwort ist sehr einfach. Eine Entwarnung in irgendeiner Form kann man überhaupt nicht geben. Alles, was da an Szenarien durch die Gegend geistert, ist sehr stimmungsabhängig. Haben wir einen heißen Sommer, wird das gleich in Richtung Klima gezogen, haben wir einen eiskalten Winter, auch. Klima ist ein Langzeitvorgang und muß über das Gedächtnis einer Person hinaus gemittelt werden.

dieFurche: Woran können wir uns aber halten, wenn der individuellen Erfahrung nicht zu trauen ist und die Computersimulationen die Wirklichkeit nicht hinreichend genau abbilden?

Meincke: Die Modellrechnungen haben große Probleme, das weiß jeder. Trotzdem sind die Schwankungen der Bandbreite, in der man etwas vorhersagen kann, nicht mehr so groß, daß man den menschlichen Einfluß auf das Klima abstreiten kann. Daher muß man weiter warnen und fordern, schädliche Einflüsse so weit wie möglich zu reduzieren, und zwar rechtzeitig, das heißt vorausschauend, ohne daß die Signale einer Klimaveränderung schon deutlich meßbar sind.

dieFurche: Wann könnten sie für Europa meßbar werden?

Meincke: Die Klimaveränderungen sind so komplex, daß die Auswirkungen für einzelne Regionen sehr schwer vorhersagbar sind. Die Modelle haben noch eine sehr schlechte räumliche Auflösung. Soviele Punkte können Sie in den Rechnern einfach nicht unterbringen. Wir müssen noch ein paar Jahre warten, ehe die Klimamodelle in der notwendigen Auflösung auf den verfügbaren Rechnern untergebracht werden können.

dieFurche: Abgesehen von der Schwierigkeit, in Gang befindliche Veränderungen nachzuweisen, ist der ursächliche Zusammenhang zwischen CO2-Ausstoß und Erwärmung seit langem bekannt. Gilt er nach wie vor als gesichert?

Meincke: Das ist zweifelsfrei immer noch der Fall. Über die Richtung des Prozesses läßt sich nicht mehr streiten. Die Warnung steht in voller Schärfe.

Das Gespräch führte Hellmut Butterweck.

Zur Person Jens Meincke, Professor für Ozeanographie in Hamburg, ist einer jener Meeresforscher, die vor einer Eiszeit in Europa warnen, und zwar als mittelbare Folge der Erwärmung. Der Treibhauseffekt, so das mögliche Szenario, führt zum vermehrten Abschmelzen von Eis auf der Nordhalbkugel, vor allem von den Gletschern Grönlands. Diese Zufuhr von Süßwasser führt zur Ausdünnung des Salzgehalts im europäischen Nordmeer. Zwischen Grönland, Spitzbergen und Island sacken, "Bruchteile von Graden vor dem Frostpunkt" (Meincke), eine halbe Million Kubikmeter abgekühltes Seewasser pro Sekunde in tiefere Schichten. Ohne den Sog der "thermohalinen Zirkulation" kämen die nördlichen Ausläufer des Golfstroms zum Erliegen. Bereits eine Abnahme des Salzgehalts um 0,2 Gramm pro Liter genügt, um die "thermohaline Zirkulation" zu stoppen, so daß der Golfstrom viel weiter südlich enden würde. Das Klima in den nördlichen Regionen Europas würde sich jenem annähern, das dem jeweiligen Breitengrad entspricht. Sylt liegt aber so hoch im Norden wie die Südgrenze der dauergefrorenen Gebiete Alaskas. Bereits das südliche Skandinavien könnte in die Regionen des ewigen Eises rücken.

Meincke brach zwei Tage nach diesem Interview im Rahmen des EU-Forschungsprojekts VEINS (variability of exchanges in the northern seas) mit dem Forschungsschiff "Valdivia" zu Messungen in die Gewässer vor Ostgrönland auf.

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