Erdogan Hagia Sophia - © APA / AFP / Turkish Presidential Press Service / Handout

Hagia Sophia: Erdoğans fatale Retro-Politik

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Die von Recep Tayyip Erdoğan verfügte Rückführung der Hagia Sophia zur Moschee ist alles andere als zukunfts­weisend. Der türkische Präsident übersieht vielmehr die Zeichen der Zeit.

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Die von Recep Tayyip Erdoğan verfügte Rückführung der Hagia Sophia zur Moschee ist alles andere als zukunfts­weisend. Der türkische Präsident übersieht vielmehr die Zeichen der Zeit.

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Am Freitag, dem 24. Juli 2020, ist es also so weit: Die Hagia Sophia, die Kirche der Heiligen Weisheit, wird wieder Moschee. Zweifelsohne wird Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan das erste Freitagsgebet seit der Umwandlung in ein Museum durch den Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk als politische Bühne und Inszenierung nützen. Bedurfte es überhaupt noch eines Beweises, wie sehr Religion – ohne Rücksicht auf ihre Kernbotschaften – politisch instrumentalisiert wird, so liefert das türkische Staatsoberhaupt hier ein jüngstes prominentes Beispiel mit weltweiter Wirkung.

Die Aufmerksamkeit ist zweifellos auf seiner Seite: Politiker, Religionsführer und Kommentatoren ergründeten, warum Erdoğan die­sen Schritt setzt und wohin die politisch-religiösen Signale gehen. Diagnostiziert wurden Macht­demonstration, Ablen­kung von innenpolitischen Schwierigkeiten und wirtschaftlichen Problemen der Türkei, Erringung der Deutungshoheit von Kultur und Geschichte, ein Signal in eine vielschichtige islamische Welt, eine Provokation gegenüber Europa und dem Chris-
tentum. Mit Religion hat das wenig zu tun, schon gar nicht mit heiliger Weisheit, die man dieser Art der Politik kaum zusprechen wird können.

Politisches Symbol seit jeher

Die Hagia Sophia selbst wird es eher gelassen sehen, ist es doch ihr Schicksal von Anfang an. Kaiser Justinian, der diesen größten und bedeutendsten Bau ost-
römisch-byzantinischer Architektur in der unglaublich kurzen Bauzeit von nur fünf Jahren (532–537) errichten ließ, steht am Beginn der Machtpolitiker. Mit der Rückeroberung Nordafrikas, Italiens und von Teilen Spaniens, wie auch im Kampf mit den persischen Sasaniden war er bestrebt, das Römische Reich in seiner alten Herrlichkeit wiederherzustellen. Die vielfältigen Bauunternehmungen Justinians im gesamten Reich gipfelten unter anderem in Konstantinopel, der Hauptstadt des Römischen Reiches, im Neubau der Hagia Sophia und der anderen bedeutenden Kirchen des Oströmischen Reiches, der Apostelkirche und der Hagia Eirene. Die Hagia Sophia wurde verstanden als eine summa antiken Bauens und unerreichbare, unwiederholbare Leistung. Justinian hatte für seine Machtdemonstration und jene der nachfolgenden oströmischen Kaiser einen der genialsten Bauten errichten lassen.

Seit Konstantin dem Großen (4. Jh.) sahen sich die römischen Kaiser als irdische Sachwalter der Kirche. So war denn auch die Hagia Sophia zugleich Krönungskirche der Kaiser, Kathedrale des Patriarchen von Konstantinopel und damit Mittelpunkt der christlichen Ökumene insgesamt. Der spätere mittelalterliche Machtanspruch der Päpste in Rom hat im Westen vergessen lassen, dass die Hagia Sophia als Zentralkirche des gesamten Christentums erbaut wurde.

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