Hagia Sophia: „Heilige Weisheit“, limited
Erdoğans Rückeroberung der „Hagia Sophia“ folgt dem uralten Schema der machtpolitischen Instrumentalisierung von Religion, schreibt FURCHE-Herausgeber Heinz Nußbaumer in seiner Kolumne "Nußbaumers Welt".
Erdoğans Rückeroberung der „Hagia Sophia“ folgt dem uralten Schema der machtpolitischen Instrumentalisierung von Religion, schreibt FURCHE-Herausgeber Heinz Nußbaumer in seiner Kolumne "Nußbaumers Welt".
Sophia“ (Weisheit) rufen die Priester der Ostkirche, ehe sie das Evangelium verkünden. So viel Bedeutung erhält kaum ein anderes Wort im orthodoxen Gottesdienst. Unvermeidbar denke ich in solchen Momenten an die „Hagia Sophia“, die heilige Weisheit – jenen gewaltigen Kuppelbau im Herzen von Konstantinopel / Byzanz/ Istanbul. Und an sein einzigartiges Schicksal: Nahezu ein Jahrtausend war sie (die FURCHE berichtete) die weltgrößte Kirche der Christenheit; dann fast 500 Jahre eine Moschee – als blutige Siegestrophäe der Osmanen; zuletzt 86 Jahre als Museum „neutralisiert“ – bis zum Freitag der Vorwoche. Jetzt sind die prachtvollen Mosaike und Ikonen mit Tüchern verhängt und der kostbare Marmorboden mit islamischen Gebetsteppichen bedeckt. Von der „Befreiung der Großen Ayasofya-Moschee aus Knechtschaft und Gottlosigkeit“ sprechen Muslime nun – von „Schmerz“, „Entsetzen“ und „Schändung“ viele Christen weltweit. Und global spekulieren Politik und Medien, was für den Islamisten Recep Tayyip Erdoğan bei dieser Umwidmung wichtiger war: Die „Wiederherstellung islamischer Größe“ (somit die Überwindung von Atatürks Laizismus und der Glorie des alten Byzanz) – oder die populistische Inszenierung eines von Wirtschafts- und Coronakrise massiv bedrängten Langzeit-Machthabers.
Instrumentalisierung von Religion
Erdoğans Rückeroberung der „Hagia Sophia“ folgt dem uralten Schema der machtpolitischen Instrumentalisierung von Religion. Es ist ein tragisches Erfahrungsfeld von Umwidmungen und Zerstörungen, von Unterdrückung und Vertreibungen religiöser Minderheiten. Meist zur bewussten Demütigung von Gegnern. Täter und Opfer sind da weit gestreut.
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