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Die Sophienkirche in Konstantinopel

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Die Frage der Entstehung des architektonischen Wunderwerkes am Bosporus reicht weit über den Rahmen einer Stilgeschichte hinaus. Als Baudenkmal wird die Sophienkirche zum Träger allgemein-geistesgeschichtlicher Ideen, die an den Fundamenten universalgeschichtlicher Probleme rühren. Es ist die Polarität Abendland und Byzanz.

Der Außenbau der Hagia Sophia zeigt eine kompakte Geschlossenheit der Baumassen; mit seiner schlichten Wirkung steht er im Gegensatz zu anderen bedeutenden Denkmälern der Weltarchitektur. Mit den an diesen geläufigen Mitteln einer formalen Komposition (Antike und Renaissance) oder einer geistigen Unterordnung der Bausubstanz unter eine überwekliche Ordnung (Gotik und Barock) kann diese Architektur nicht erklärt werden. Ausschlaggebend für den Eindruck ist nicht die ungeformte Masse der aneinandergefügten sterebmetrischen Gebilde, sondern die künstlerischen Gesetze des blockmäßigen Massenbaues. Diesem begegnen wir schon im kristallinischen Block der ägyptischen Pyramide, die aber zu einer amorphen raumverdrängenden Masse geformt ist, während hier der Baukörper den Raum hüllend umschließt. Die Wandfläche, die weder die renaissanceartige Eigenschaft des Vor- und Zurückspringens zeigt, noch wie in der Barockarchitektur in mächtigen Schwingungen aus dem Innenraum herausgetrieben wird, übernimmt durch optische Belebung die Funktion der Entstofflichung. Besonders charakteristisch ist die Verhüllung der Baustruktur, die auch in der Gestaltung des Innenraumes nirgends faßbar wird. Damit steht die Sophienkirche im Gegensatz zu vielen anderen Bausystemen, etwa zur Gotik, deren offen zu Tage tretendes konstruktives Skelett einen unzertrennlichen Teil der Gesamtwirkung bildet.

Die schöpferische Tat in der Gestaltung des Innenraumes ist die Verschmelzung zweier grundverschied enerBau-systeme zu einer neuen künstlerischen Ordnung: Der harmonisch geschlossene Zentralraum' der Spätantike und der kinetische altchristliche Langhausbau des werdenden Mittelalters. Durch ein wohldurchdachtes Raumgefüge wird die Verquickung dieser beiden Baugedanken in einmaliger Vollendung erreicht. Im Kuppelraum vollzieht sich das tiefste Raumerlebnis, das durch optische Lichtführung und koloristische Mittel der Wandverkleidung verstärkt wird. Die Hagia Sophia ist das hervorragendste Beispiel einer illusionistischen Scheinarchitektur. Die lastende Wucht der Kuppel wird von einem kaschierten Verstrebungssystem nach außen geleitet. Die optische Raumillusion, gesteigert durch den farbigen Reichtum der Marmorinkrustationen und der liditüber fluteten Goldflächen der Mosaiken, erweckt den Eindruck einer unrealen Welt. Diese Auflösung der Raumsub,stantialität, die in einer idealen Transzendenz gipfelt, ist für die byzantinische Architektur besonders bezeichnend. -

Auf die genetische Ableitung dieses Bau-■ Systems hat Professor Dr. W. Sas-Zalo-ziecky schon in seinem 1936 erschienenen grundlegenden Werk über die Sophienkirche hingewiesen. Der bekannte Forscher hat kürzlich in einem Vortrag, in dem er ein umfassendes Bild dieses bedeutendsten Bauwerkes des christlichen Ostens entwarf, abermals zu diesen Problemen Stellung genommen. Nicht im Osten, “sondern im Westen vollziehen sich vom dritten bis fünften Jahrhundert die entscheidenden Taten der Baugeschichte, die in der künstlerischen Vollendung der Sophienkathedrale gipfeln. Das gewaltige justinianische Reformwerk, mit seiner Wiederbelebung der Antike, ist kein reaktionäres Zurückgreifen auf veraltete Formen, sondern ein schöpferischer Konservatismus, erfüllt von fortschrittlichen Ideeri. „Wir führen das Altertum in höherer Blüte in den Staat wieder ein und verehren den Namen der Römer!“ steht in dem von Justinian wiedereingeführten Codex juris, dessen Schärfen eines heidnisch-antiken Rechtes nun aber von den Ideen des Christentums gemildert und humanisiert werden. Diese Verschmelzung der Antike mit christlicher Kultur spiegelt sich nicht nur im staatspolitischen Werk, sondern auch in der Literatur und Kunst. So wird die Palastkirche' Justinians, “in ihrer Verquickung des spätantiken Bauwillens mit dem Raumgefühl der altchristlichen Basilika weit über ihre bedeutende kunsthistorische Stellung hinaus zum Symbol für ein welthistorisches Kreignis, auf dem das Fundament des byzantinischen Reiches und seine tausendjährige Kultur gegründet wurde.

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