Kunstsinnige Reise durchs Kirchenjahr

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Wenn Bischöfe im Geist die neun Stationen des Kirchenjahrs durchschreiten, ist Vorsicht angesagt: vor unmäßigem Predigtton, vor erhobenen Zeigefingern, vor Klageliedern auf den gesellschaftlichen Niedergang. Derlei Anfechtungen entgeht der steirische Oberhirte und vielgeübte Schreiber Egon Kapellari in seinem jüngsten Opus "Menschenzeit in Gotteszeit" mit Bravour. Er weiß, dass es beim Gang durch dieses von der Kirche geschaffene "Kunstwerk des Glaubens" zu schade wäre, sich auf bloßes Lamentieren über die Entfremdung von Weihnachten zu beschränken. Wie sonst käme er zu dem hoffnungsvollen Schluss, dass das Fest der Geburt Christi noch immer "stärker ist als aller Missbrauch", der mit ihm getrieben wird?

Nur selten leistet sich auch Kapellari einen leisen Klageton: Etwa dort, wo von Pfingsten und dem Sakrament der Firmung die Rede ist. Handelt es sich dabei nicht um bloßes "Säen gegen den Wind"? Jeder wisse doch, dass bald danach bei vielen Jugendlichen "die großen Ferien vom kirchlichen Leben begonnen haben"...

So klar hier die Sorge des "Sämanns" zu Tage tritt, so augenscheinlich wird in den gesammelten und teilweise ergänzten Texten Kapellaris Begeisterung. Einmal mehr gelingt dem kunstsinnigen Bischof die Hinführung zur "erfüllten Zeit" über die Sprache der Dichter. Fast allen seinen Kapiteln stellt er einen Liedtext, Hymnus oder ein Gedicht voran. In jedem Abschnitt verweist er zudem mit Leidenschaft auf die großen Meister der Sprache: Augustinus, Nelly Sachs, Georg Trakl, Antoine de Saint-Exupéry, Ingeborg Bachmann oder Umberto Eco - sie alle nimmt Kapellari zum Ausgangspunkt seiner theologischen Reflexionen, die er mit acht ansprechenden Bildtafeln ergänzt.

Auch die zeitgenössische Kunst schließt er - fernab jeder Kleingeis-tigkeit - in seine Betrachtungen mit ein. Nachhaltigstes Beispiel dafür ist Kapellaris Annäherung an das Wort "Prophet" mit Hilfe eines Bildes: "Es ist ein großes, in Weiß bemaltes Blatt, das der Künstler von der Rückseite her ein wenig eingerissen und nach vorne so ausgebuchtet hat, dass der Betrachter meint, die Lippen eines Mundes zu sehen, der sich eben öffnet." Manche hätten ihn gefragt, schreibt Kapellari, ob so etwas denn Kunst sei. Er selbst sieht darin den Inbegriff dessen ausgedrückt, was Prophetsein bedeutet: Inmitten einer geschwätzigen Gesellschaft "den Mund auftun für Gott".

Mit seinen unaufgeregten Deutungen des Kirchenjahres unternimmt auch der steirische Bischof diesen Versuch - und schafft es immerhin, den Sinn christlicher Feste im Heute ein Stück weit zu erhellen.

MENSCHENZEIT IN GOTTESZEIT. Wege durch das Kirchenjahr. Von Egon Kapellari. Verlag Styria, Graz/ Wien/Köln 2002. 272 Seiten, geb., e 18

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