Christen fristen kein geborgenes Dasein

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Kritisches & Kirchenkritisches: Drei unterschiedliche Neuerscheinungen regen zur intellektuellen Auseinandersetzung mit katholischem Christsein an.

Gott sei Dank gibt es sie auch: intellektuelle Denker und ebensolche Reibebäume an der heimischen Kirchenspitze. Egon Kapellari, Bischof von Graz-Seckau, ist eine erste Adresse dafür. Sein neues Buch "In und Gegen" versammelt über 140 Texte, die der steirische Hirte als Prediger oder Redner vorgetragen wie als Schreiber zu Papier gebracht hat. Ein bunter Kosmos verschiedener literarischer Genera, aber konzis in Glaubens- und Weltsicht, thematisch gut lesbar angeordnet.

Der Titel des Buches "In und Gegen" ergibt sich aus einem Leib- und Lebenstext des Bischofs, dem frühchristlichen Diognet-Brief, den der Autor auszugsweise der Sammlung voranstellt: Christen fristen kein geborgenes Dasein, heißt es dort, sondern sie "leben wie fremde Ansässige". In dieser Fremdheit und doch vertrauten Gottesnähe positioniert Kapellari seine spirituellen, theologischen, aber auch gesellschaftskritischen und -politischen Texten.

"Wir leben in keiner Gründerzeit", so die nüchterne Diagnose in einem Interview im Buch: Dieser Bischof weiß, dass er sich mehr mit dem Abbruch als mit dem Aufbruch auseinanderzusetzen hat, und fragt dennoch in einem anderen Interview: "Wie weiter?" Dass er sich dann wieder als "wetterfesten Katholiken" charakterisiert, zeigt gleichfalls, wo dieser Kirchenobere steht. Auch sein Standpunkt zur Islam-Debatte, den er für die FURCHE Anfang 2008 angesichts der Mohammed-Verunglimpfungen durch die FPÖ im Grazer Wahlkampf verfasst hatte, findet sich im Buch.

Daneben bietet der Band ebenso vieles zur Gottesfrage und zum Glauben, den er auch an bildender Kunst exemplifiziert: Das "Lamm Gottes" des spanischen Malers Francisco Zurbarán aus dem 17. Jahrhundert etwa (Bild oben) passt da perfekt ins Glaubenszeugnis wie in die diagnostische Zeitsicht Egon Kapellaris.

Netzwerke der Ultrakonserativen

Ganz anders gestrickt, hoch brisant und entlarvend ist da der Buchaufreger "Der heilige Schein" von David Berger. Der langjährige Chefredakteur der (ultra)konservativen Zeitschrift Theologisches überwarf sich ob seines Outings als Homosexueller im April 2010 mit den Gesinnungsgenossen und arbeitet seine Erfahrungen im rechtskatholischen Milieu im Buch auf.

Der Band stellt eine Déjà-vu-Erlebnis sowie eine Pflichtlektüre für wache Christen dar, denn hier breitet einer, der tief in die Netzwerke eines militanten, fundamentalistischen Katholizismus verstrickt war, sein Wissen aus. Glasklar ist die Diagnose von Berger, frappierend, wie die Verbindungen quer durch die Länder nach Rom verlaufen und wie sich ein rechter bis rechtsextremer Zeitgeist so tief in die katholische Kirche eindringen konnte. Roms Pardonierung der Pius-Brüder Anfang 2009 ist bloß das auffälligste äußere Zeichen für diese Entwicklung, die Berger detailreich und aus eigener Anschauung darstellt. Viele Spuren führen auch nach Österreich - etwa in die Diözese St. Pölten der Ära Kurt Krenns, zu den ultrakonservativen Gemeinschaften wie den "Servi Jesu et Mariae" oder dem "Engelwerk" (das erst dieser Tage von Rom neu anerkannt wurde!) oder den Internetportalen kath.net und kreuz.net: Dass letzteres vor Bodenlosigkeiten und Antisemitismus strotzt, kann jeder nachlesen, der sich auf diese Webseite verirrt

Dabei ist David Berger zu konzedieren, dass er keineswegs gehässig vorgeht und erkennbar nicht auf der Folie "verschmähter Liebe" agiert. Sondern ihn treibt - auch und gerade dargestellt an bigotter Sexualmoral und ebensolchem Umgang mit Homosexuellen - die Sorge um eine Kirche um, die aufgrund der beschriebenen rechten Umtriebe Gefahr läuft, in Richtung Sekte zu degenerieren.

Berger analysiert dabei auch die eigenen ultrakonservativen Torheiten, etwa als er einer Totalopposition gegen den Jahrhunderttheologen Karl Rahner das Wort redete. Der Autor ist auch ein ausgewiesener Kenner Thomas von Aquins, den man, so seine heutige Erkenntnis, keinesfalls den Ultrakonservativen überlassen sollte. Warum dieses Milieu sich vor allem an Thomas von Aquin abarbeitet? Auch diese Erkenntnis erwirbt man bei der Lektüre des wirklich aufschlussreichen Buches.

Wider Fundamentalismus-Gefahr

Inhaltlich in ähnlichem Fahrwasser, aber nicht enthüllend, sondern klar und ausladend theologisch argumentierend versucht sich der Pastoraltheologe Paul Weß im Band "Glaube aus Erfahrung und Deutung", in dem er eindringlich für eine "christliche Praxis statt Fundamentalismus" plädiert. FURCHE-Lesern sind der Autor und die Grundzüge seiner Argumentation (vgl. FURCHE 19 und 23/2010) wohl bekannt. Weß ist ein existenziell und leidenschaftlich Fragender, der auch vor Kritik am kirchlichen Lehramt nicht haltmacht: Wenn eine Religion ihren Quellen eine göttliche Autorität zuschreibt, die nicht hinterfragt werden darf, dann herrscht Fundamentalismus-Gefahr - so die zentrale These von Weß, die er als Kritiker ebenso ausbreitet ("Religionskritisch von Gott sprechen") wie als Neudenker ("Kirchenreform ohne Korrekturen des Dogmas?"). Keine leichte Kost, aber eine durch und durch redliche Denkart, der sich zeitgenössisch denkende Christen aussetzen sollten.

In und Gegen

Gespräche über Gott, Mensch und Welt Von Egon Kapellari. Styria Premium 2010. 462 Seiten, geb. e 24,95

Der heilige Schein

Als schwuler Theologe in der katholischen Kirche. Von David Berger, Ullstein 2010. 299 Seiten, geb. e 18,50

Glaube aus Erfahrung und Deutung

Christliche Praxis statt Fundementalismus. Von Paul Weß. Otto Müller Verlag 2010. 278 Seiten, brosch. e 24,80

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