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„Gott ist Herr und niemand sonst“

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Während des zehnjährigen Bestandes der Solidaritätsgruppe engagierter Christen (SOG) sind jährliche Arbeitstagungen über theologische Fragen zur stehenden Einrichtung geworden. Referenten, wie Ferdinand Klostermann, Anton Pelinka oder Gotthold Hasenhüttl konnten gewonnen werden, um die persönliche Weiterbildung der Mitglieder auf theologischem und kirchlichem Gebiet zu erleichtern, zugleich aber ergänzende Schwerpunkte in Richtung katholischer Erwachsenenbüdung zu setzen.

Beide Absichten sind Ausdruck der Zielsetzung der SOG: der Weiterführung der innerkirchlichen Reform im Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils, ohne jedoch auf die vielfältigen sozialen, politischen und kulturellen Anforderungen zu vergessen, denen sich Christen der heutigen Welt gegenübergestellt sehen.

Glaube und gesellschaftliches Handeln, Kirche und Politik, Christen und Humanisten im Einsatz für eine bessere Welt - Fragen, von denen kirchliche Reform nicht isoliert werden kann, die sich der SOG daher mit immer größerer Deutlichkeit stellten.

„Gottes Gerechtigkeit in einer ungerechten Welt“: Das Thema der diesjährigen Arbeitstagung in Salzburg nahm denn auch deutlich auf diese Problematik Bezug. Das Hauptreferat hielt der Tübinger Bibelwissenschafter Ernst Käsemann, dessen theologisches Wirken für eine Anzahl österreichischer Gaststudenten in Tübingen ein persönliches Erlebnis, für viele andere theologisch Interessierte immerhin ein Begriff ist.

Mit einer engagierten, nach allen Seiten hin kritischen Theologie ist Käsemanns Name verbunden; seine morgendlichen Bibelauslegungen vor 10.000 Hörern auf dem Evangelischen Kirchentag in Berlin sind ebenso im Gedächtnis geblieben wie die - als Solidaritätsakt mit der politisch aktiven Tübinger Studentengemeinde gedachte - Kirchenaustrittsdrohung im November 1977. Aus seiner Parteinahme für nichtkonformistische, ja revolutionäre Strömungen der gesellschaftspolitischen Diskussion hat Ernst Käsemann kein Hehl gemacht.

Manche Teilnehmer in Salzburg dürften verwundert gewesen sein, aus seinem Mund dennoch ein in Sprache und Inhalt rein fachtheologisches, von persönlichem Glauben und einer fast ungewohnten Frömmigkeit getragenes Referat zu vernehmen. Mit dem Wort „Gott ist Herr und niemand sonst“ könnte man Käsemanns Ausführungen auf einen Kurzbegriff bringen. Weder in Richtung einer „Partnerschaft mit Gott“ noch hinsichtlich einer „Frauschaft Gottes“ war Käsemann bereit, hier Abstriche zu machen.

Aber aus dieser Unbedingtheit geschöpflicher Unterwerfung unter Gott erfließt für ihn eine grundsätzliche Überlegenheit des Menschen über alle Institutionen in Welt und Gesellschaft; jegliche Herrschaftsansprüche von Staaten, Parteien, ja sogar Kirchen sieht Käsemann in fast urkirchlicher Bezugnahme durch die Herrschaft Gottes relativiert.

In Gesprächen am Rande ließ er keinen Zweifel daran, wie sehr er die maßgeblichen Parteien und Kirchen der Bundesrepublik Deutschland (und wohl nicht nur dort) damit gemeint wissen will. Das skandalöse Verhalten der sozialliberalen Bundesregierung zur politisch begründeten Ermordung von Käsemanns Tochter in Argentinien steht als eine konkrete Erfahrung dahinter. Aber auch den deutschen Atomexport nach Brasilien, die Zusammenarbeit mit dem „rassistischen“ Südafrika nannte Käsemann als Beispiele für den Machthunger etablierter wirtschaftlicher und politischer Institutionen des gesellschaftlichen Systems.

Mit einem theologischen Ausdruck dafür sprach Käsemann von „Besessenheit“ und griff damit bewußt auf die neutestamentlichen Heüungen und die Dämonenerzählungen zurück. Er insistierte mit Entschiedenheit auf der darin zum Ausdruck kommenden Realität des Bösen und wandte sich scharf gegen Tendenzen der Verharmlosung und Harmonisierung. Seine Kritik am naiven Fortschrittsglauben der Aufklärung, der allzuoft als ideologische Rechtfertigung inhumaner Verhältnisse diene, blieb freilich nicht unwidersprochen.

Mit einigen Stunden Diskussion oder einigen Seiten Bericht werden Tiefe und Wert von Käsemanns Vortrag sicher nicht auszuschöpfen sein. Zur Nacharbeit und genaueren Information wird der vollständige Text in Kürze veröffentlicht werden (erhältlich bei: SOG, 5010 Salzburg, Postfach 170).

Mit seiner Einladung verband die SOG auch ein Bekenntnis zur ökumenischen Zusammenarbeit mit protestantischen Glaubensgenossen. Der Elan der Zusammenarbeit zwischen den Kirchen scheint in den letzten Jahren merklich im Schwinden zu sein; auf protestantischer wie katholischer Seite erweisen sich evangelikale wie lefebvristische Tendenzen als hinderlich. Daß diese Einschätzung auch von engagierten Christen protestantischer Seite ge-teüt wird, kam in einer Grußadresse der befreundeten „Salzburger Gruppe“ deutlich zum Ausdruck.

Mancher wird nach dem Stellenwert von Vorträgen und Tagungen wie dieser, nach Ergebnissen oder Beziehungen zum Selbstverständnis der veranstaltenden Gruppierung fragen. Seitens der SOG wird auf solche Fragen programmatisch geantwortet: „Wir sind keine Alternative zur Kirche, sondern eine Alternative in ihr. Nicht als Sekte, sondern als Glieder der Kirche wollen wir Zeichen des Widerspruchs und der Erneuerung sein.“

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