Das menschliche Anliegen in Darwins Wissenschaft

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Es gibt bereits einige ausgezeichnete und auch sehr detaillierte Bücher über das Leben und Schaffen von Charles Darwin. Dass im Darwinjahr noch weitere Biografien dazukommen würden, war wohl zu erwarten, dass sie aber so radikal Neues zu erzählen hätten, hingegen nicht.

Humanist und Antirassist

Tatsächlich überraschen Adrian Desmond und James Moore in ihrem aktuellen Buch "Darwin's Sacred Cause" mit einer sehr kühnen These: Darwins Abstammungslehre sei von seinem humanistischen Eifer angetrieben worden. Der große Naturforscher habe einem wichtigen Argument der Sklaverei-Befürworter den Boden entziehen wollen: Es gibt keine distinkten Rassen, alle Menschen haben letztlich gemeinsame Vorfahren. Da diese gemeinsamen Vorfahren nicht Adam und Eva, sondern Affenmenschen waren, machte es für Darwin allerdings nicht leicht, seine Überzeugungen auch kundzutun. Nur ganz wenige weihte er in seine Ideen ein und in seinen Arbeiten äußerte er sich nur sehr vorsichtig. Er hatte Angst, selbst alte Freunde und Kollegen vor den Kopf zu stoßen. Einige verstanden ihn dennoch. Der US-Botaniker Asa Gray etwa hielt in einer Rezension von "Der Ursprung der Arten" umso klarer fest, was Darwin eigentlich meinte: "Der erst Schritt zurück (in geologische Zeiten) macht den Neger und den Hottentoten zu unseren Blutverwandten - nicht, dass die Vernunft oder die Bibel widersprechen würden, aber der Stolz tut es."

Darwins Botschaft, die eine bescheidenere Sicht auf den Menschen erfordert hätte, kam in der Tat nicht an. Er wurde als Affe karikiert. Schlimmer noch: Andere Konzepte wie der "Kampf ums Dasein" wurden nach seinem Tode für eine neue Rassenpolitik hergenommen, wobei die Nazi-Gräuel den unrühmlichen Höhepunkt des "Sozialdarwinismus" darstellten.

Da die Rassenfrage nie explizit im Werke Darwins aufscheint, brauchen Desmond und Moore - die übrigens beide renommierte Darwin-Biografen sind - 512 Seiten, um ihre These von Darwin als Humanisten plausibel zu machen. In ihrem Buch zeichnen sie ein lebhaftes Bild von Darwins Bekanntenkreis, wobei vor allem die Familie seiner Frau Emma Wedgwood sich stark für die Abschaffung der Sklaverei einsetzte (und übrigens auch für Tierrechte). Darüber hinaus wird deutlich, wie eng damals wissenschaftliche Erkenntnisse mit der politischen Diskussion verwoben waren und wie genau Darwin die Argumente seiner Gegner kannte.

"Darwin war weder ein Heiliger noch ein Teufel", betonen die Autoren zwar am Anfang des Buchs. Dennoch dürfte ihr neues Darwin-Bild auf Kritik stoßen. Den Kreationisten ist er sicher zu sympathisch. Aber auch Wissenschafter dürften mit diesem moralisch motivierten Darwin ihre Probleme haben - weil er Wissenschaft explizit als Fortführung von Politik mit anderen Mitteln verstanden hat. (tm)

Darwin's Sacred Cause

Von Adrian Desmond u. James Moore.

Penguin Books, London 2009.

512 Seiten, geb., E 29,30

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