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Der Ruf aus Alta Gracia

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„Lateinamerika warnt, daß eine gerechte Verteilung des Reichtums unter den Nationen ein moralisches Gebot ist, da die herrschenden ungerechten Bedingungen im Welthandel eine schwere Bedrohung für den Frieden unter den Völkern darstellen“, ist die Schlußformel der „Charter von Alta Gracia“, die 18 lateinamerikanische Staaten nach zwölftägigen Verhandlungen in dem Luxushotel Alta Gracia — mitten in den argentinischen Bergen von Cördoba — beschlossen haben. Kuba war aus politischen, Honduras aus finanziellen Gründen nicht vertreten. Aber außer den USA waren sieben afro-asiatische Staaten — dagegen weder die EWG noch das Commonwealth noch die Sowjetunion — durch Beobachter vertreten.

„Die Charter von Alta Gracia“, sagte der argentinische Wirtschaftsminister Eugenio Blanco, „bringt den festen Willen der lateinamerikanischen Völker zum Ausdruck, die bestehende Ungleichheit Im Einkommen zwischen den Völkern zu senken.“ (Das Durchschnittseinkommen der Hälfte der Lateinamerikaner beträgt etwa 3000 Schilling im Jahr!) „Lateinamerika spielt die Hauptrolle auf der Genfer Konferenz“, sagte der uruguayische Wirtschaftsminister Ybarra San Martin. In der Tat erheben die lateinamerikanischen Regierungen ihre Forderungen gleichzeitig im Namen der afro-asiatischen Entwicklungsländer, mit denen sie eine Koordination vereinbart haben.

Die „Charter von Alta Gracia“ geht davon aus, daß Lateinamerika im Welthandel verdrängt wird (1948: 11,4 Prozent, 1962; 6,5 Prozent). Die südamerikanischen Planer machen hierfür die „ungerechte Struktur des Welthandels“ verantwortlich; vor allem sehen sie sie in dem Fall der Rohstoffpreise — also ihrer Exporte — im Gegensatz zu den Industriepreisen — also ihren Importen. Ausgehend von den Preisen von 1950 haben sie in den zehn Jahren bis 1960 mehr als zehn Milliarden Dollar durch diese Entwicklung verloren, während in der gleichen Zeit acht Milliarden Dollar Auslandskapital nach Lateinamerika floß. Sie weisen darauf hin, daß die Agrar-preise in der Regel vom Käufer, die Industriepreise dagegen meist vom Verkäufer bestimmt werden, und führen ihre ungenügenden und fallenden Exporterlöse vor allem auf die protektionistischen Methoden der Industrieländer zurück. Sie fordern Präferenzen ohne Gegenseitigkeit und ohne Ausdehnung auf andere „reiche Länder“.

Sie fordern also kühn, daß die EWG, Commonwealth und der Ostblock die Handels- und Agrarpolitik radikal ändern. Die Industriestaaten sollten zum Beispiel bis 31. Dezember 1965 die Innensteuern für tropische Produkte aufheben. Nach Berechnungen der FAO würde dadurch die Einfuhr von Kaffee, Kakao und Bananen um 140 Millionen Dollar jährlich steigen. Auch in bezug auf die Agrarprodukte der gemäßigten Zone verlangen die Lateinamerikaner, daß alle protektionistischen Maßnahmen fallen. Als Beweis für die Ungerechtigkeit des Welthandels wird angeführt, daß Rinder — 100 Kilogramm Lebendgewicht — 1961 in Argentinien 10.82 Dollar, in den USA 54 und in der Bundesrepublik Deutschland 58.35 Dollar kosten.

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