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HELEN B. TAUSSIG / EHRENDOKTORAT IN WIEN

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Sie ist Präsidentin der amerikanischen Herz-Vereinigung, Inhaberin des Ritterkreuzes der Ehrenlegion, der „Freiheitsmedaille 1964“ und vieler anderer Auszeichnungen und Preise. Nun hat sie für kurze Zeit ihre Wirkungsstätte, die John-Hopkins-Universität in Baltimore, hinter sich gelassen und kam nach Wien, um hier im Rahmen der Sechshundertjahrfeier der Universität das Ehrendoktordiplom entgegenzunehmen: die amerikanische Herzspezialistin Dr. Helen B. T aus sig.

Seit 1930 Kinderärztin und später Chefin der Kinderherzklinik in Baltimore, die erste Frau, die eine Professur an der John-Hopkins-Universität erhielt, ist die hochgewachsene, lebhafte grauhaarige Dame durch ihre Operationen an „Blauen Babys“ weltberühmt geworden. „Bei meinen Beobachtungen erkannte ich, daß solche Kinder nicht an einer Herzschwäche, sondern an Sauerstoffmangel starben“, kommentiert die Frau Professor. „Blaue Babys“ haben eine angeborene Verengung der Herz-Lungen-Arterie. Früher bedeutete solch ein Geburtsfehler ein befristetes Todesurteil, das Ende kam nach einigen Jahren, noch während des Kleinkindalters.

Frau Dr. Taussig konzentrierte ihre Forschungen auf solche Fälle. Sie ging von der Erwägung aus, daß durch einen operativen Eingriff die Verengung umgangen und Blut in die Lunge umgeleitet werden könnte, wo eine Anreicherung mit dem lebenswichtigen Sauerstoff erfolgen würde. Die Ärztin setzte diese Theorie dem amerikanischen Chirurgen Dr. Alfred Blalock auseinander und gemeinsam begannen sie mit praktischen Versuchen an Tieren.

Im Herbst 1944, nach vielen Experimenten, wagten sie die erste Operation an einem Kind.Es war ein Vorhaben, für das es in der Geschichte der Hopkins-Universität keinen Präzedenzfall gab. An jenem Operationstisch in der Klinik in Baltimore wurde eine Großtat in der Geschichte der Medizin gesetzt. Der Eingriff gelang und damit war der Herzchirurgie ein Weg in neue Gebiete erschlossen. Bis jetzt wurden an der Klinik der John-Hopkins-Universität rund zweitausend mit Herz-Lungen-Arterienverengung behaftete Kinder operiert. Die „Taussig-Bla-lock-Methode“ ist heute Allgemeingut der medizinischen Wissenschaft, amerikanische und ausländische Ärzte wurden von Frau Dr. Taussig in der chirurgischen Technik der Operation geschult und führen sie in vielen Spitälern der Welt mit Erfolg durch.

Der Arzt, der jener Idee zur Realisierung verhalf und entscheidend zu diesem Sieg der Medizin beitrug, nämlich Doktor Alfred Blalock, ist mittlerweile verstorben.

Die Ergebnisse ihrer Forschungen und praktischen Arbeiten legte die Professorin aus Massachusetts in zahlreichen Publikationen nieder, so in dem Buch „Angeborene Mißbildungen des Herzens“, das als Standardwerk seiner Art jenseits und diesseits des Atlantik wissenschaftliche Würdigung fand. Neben den Blauen Babys sind es vor allem die von rheumatischem Fieber befallenen Kinder und Jugendlichen, denen Helen Taussigs ärztliches Wirken gilt. Und als 1962 die Verabreichung des Sedativums Contergan an schwangere Frauen die Gefahr embryonaler Mißbildungen heraufbeschwor und sensationell aufgemachte Diskussionen auslöste, kam sie nach Deutschland, wo das Medikament entwickelt worden war, und wies auf Grund ihrer Untersuchungen nach, daß die folgenschweren Schädigungen am kindlichen Organismus tatsächlich durch das heftig umstrittene Präparat hervorgerufen wurden. Sobald das Medikament aus dem Handel gezogen wurde, gab es keine Contergan-Fälle mehr.

Helen Taussig führt heute offiziell den Titel „Professor emeritus“, doch für sie gibt es kein Ausruhen, keinen Stillstand. Aktiv wie je lehrt sie weiterhin in Baltimore, leitet ihre Klinik, und selbst wenn sie einmal Urlaub nimmt und in ihr Landhaus nach Massachusetts fährt, dann ist dies nur ein kurzes Atemholen, ehe sie wieder in den Ärztemantel schlüpft und zu „ihren“ Kindern zurückkehrt.

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