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Lebensschule für Obdachlose

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Mit der Betreuung von obdachlosen Menschen in Niederösterreichs Hauptstadt ist untrennbar ein Name verbunden: die „Emmausgemeinschaft St. Pölten". Sie versteht sich als „Oase in einer Gesellschaft mit beschränkter Hoffnung".

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Mit der Betreuung von obdachlosen Menschen in Niederösterreichs Hauptstadt ist untrennbar ein Name verbunden: die „Emmausgemeinschaft St. Pölten". Sie versteht sich als „Oase in einer Gesellschaft mit beschränkter Hoffnung".

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Am Anfang waren sie nur eine kleine Gebetsgruppe: Priester und Laien trafen sich zu Erfahrungsaustausch, Schriftlesung und Gebet. In der Folge entstand eine Initiativgruppe, die 1982 das Haus Her-zogenburgerstraße 48-50 in St. Pölten mietete. Daraus wurde die „Emmausgemeinschaft" " und ihr Name ist heute untrennbar mit der Betreuung von Obdachlosen in Niederösterreichs Hauptstadt verbunden.

Im September 1982 wurde der erste „Gast" (bei Emmaus spricht man von den Hilfesuchenden immer als Gäste) aufgenommen. Die ersten ehrenamtlichen Mitarbeiter kamen und halfen, eine Welle der Hilfsbereit-schaft setzte ein. In 13 Jahren wurden - immer unter Mitarbeit der Gäste -drei Wohnheime und drei Betriebe errichtet. Aus dem idealistischen Sozialprojekt entstand ein Betrieb mit 50 Arbeitern Und Angestellten. Das Ziel der Gemeinschaft: Notleidenden Menschen (Bandgruppen der Gesell-schaft, Obdachlose, Haftentlassene...) so zu helfen, daß sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können.

Mittlerweile wird die Emmausgemeinschaft von der Niederösterreichi -sehen Landesregierung, dem Arbeits-marktservice, dem Bundemsinisteri-um für Justiz, der Caritas der Diözese St.Pölten und der Stadt St. Pölten unterstützt. Um allerdings alle notwendigen Projekte verwirklichen zu können, ist man bei Emmaus darüber hinaus nach wie vor auf Spenden angewiesen.

Von den 318 Gästen, die bisher im Wohnheim Herzogenburger Straße aufgenommen wurden, konnten rund 60 Prozent auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt vermittelt werden. (Die Bückfallquote beträgt 36 Prozent.) Das Betreuungskonzept schildert Karl Bottenschlager, seit 1982 Leiter der Emmausgemeinde St. Pölten, in seinem Buch: „Emmaus-Oase in einer Gesellschaft mit beschränkter Hoffnung" folgendermaßen: „Wir arbeiten gemeinsam, 39-Stun-den-Woche mit leistungsorientierter Entlohnung (Prämiensystem). Wir (Gäste und Mitarbeiter) machen im Badl die Beinigungsarbeiten selber. Wir essen gemeinsam: Emmaus als Ersatzfamilie. Wir wohnen unter einem gemeinsamen Dach: Die verheirateten Mitarbeiter wohnen in der Begel außerhalb des Hauses, gehören aber ebenso wie die ehrenamtlichen Mitarbeiter voll zur Gemeinschaft. Wir beten gemeinsam: Jeder Gast ist zum Gebet eingeladen, es wird jedoch keinerlei Druck ausgeübt."

Seit November 1989 gibt es in St. Pölten das „Haus Kalvarienberg", das von der Emmausgemeinschaft als Ta-geszentram und Notschlafstelle für Nichtseßhafte betrieben wird. Neben Unterkunft und Verpflegung, Vermittlung von ambulanten und stationären Therapien bekommt der Hilfesuchende auch Unterstützung bei der Arbeitssuche, der Schuldenregelung, bei Familienangelenheiten und bei der Wohnungssuche.

Das Haus bietet 16 Personen Platz. Die Aufenthaltsdauer im Haus ist auf 14 Tage beschränkt, kann sich aber bis zu sechs Monaten erstrecken.

Wer es schafft, regelmäßig zu arbeiten und keinen Alkohol zu trinken, bekommt nach einiger Zeit die Möglichkeit, in eines der beiden Wohnheime zu übersiedeln und in einem der Emmausbetriebe zu arbeiten. Die Begeln für das Zusammenleben sind überall gleich: Gemeinsame Mahlzeiten von Gästen und Mitarbeitern, Beteiligung aller an den Beinigungsarbeiten, Mithilfe in der Küche und beim Wäschedienst. In den ersten sechs Jahren wurde auf diese Weise am „Kalvarienberg" 570 Personen geholfen.

Hans Sturm, Leiter des Hauses Kalvarienberg, beschreibt in dem vorhin *£fMiJliiHfeBuch dafitfbeimnis des Erfolges von Emmaus so:

„Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung sowie andere gestörte Verhaltensmuster werden sanktioniert. Sämtliche pädagogischen Maßnahmen gegenüber den Gästen zielen jedoch darauf ab, auch Sozialtraining zu bieten. Einige Lernziele stehen dabei oft im Widerspruch zu den bishe rigen Erfahrungen im Herkunftsmilieu, wie etwa: Gewalt lohnt sich nicht, Erwerbsarbeit ist förderlich für das persönliche Fortkommen, Lügen bringt keine Vorteile, Alkohol ist mächtig und macht krank..."

Die Autorin ist

freie Mitarbeiterin der Furche.

1) Emmaus ist der Name eines Ortes in Palästina, wo einige Verzweifelte die Hoffnung wiedergefunden haben. In rund 280 Städten gibt es heute weltweit Emmausgemeinschaften.

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