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Grafik-Zyklus von Max Ernst: Die Albertina zeigt ein Schlüsselwerk des Surrealismus.

Der biblische Schöpfungsbericht läuft in der Zeitspanne von einer Woche ab. Generationen von Künstlern sahen sich in der Rolle als irdische Nachfolger dieses ersten großen Schöpfungsvorganges. Nicht zuletzt mit dieser Vorstellung wollte der Surrealismus aufräumen, wie einer seiner wichtigsten Vertreter, Max Ernst, formuliert. "Es gehört zu den ersten revolutionären Akten des Surrealismus, diesen Mythus mit schlichen Mitteln und in schärfster Form attackiert und wohl auf immer vernichtet zu haben, indem er auf die rein passive Rolle des, Autors' im Mechanismus der poetischen Inspiration mit allem Nachdruck bestand und jede, aktive' Kontrolle durch Vernunft, Moral oder ästhetische Erwägungen als inspirationswidrig entlarvte." Wie eine derartige Demaskierung aussehen kann, lässt sich anhand seiner 184 Blätter zu einer "Woche der Güte" in der Albertina nachschauen.

Nur die Inspiration zählt

In sieben Kapiteln, gereiht nach den Wochentagen, erzählt Max Ernst darin seinen "Roman". Freilich handelt es sich nicht um einen Roman im Sinne der Literaturgattung, sondern um einen Roman in Bildern. Entstanden während eines dreiwöchigen Aufenthalts in Italien im Jahr 1933 wurden die Blätter ein Jahr darauf in Buchform publiziert. Aber nicht nur die drei Wochen der Entstehungszeit stellen sich dem Bericht aus der Genesis entgegen, bei Max Ernst ist der erste Tag gleich der Sonntag. Damit ist aber keine Wende zu einer neuen Ordnung nach Christi Geburt vollzogen. Vielmehr geht es um eine fundamentale Anfrage an die Tragfähigkeit aller bisherigen Seh- und Denkgewohnheiten mit durchaus drastischen Mitteln.

Die passive Rolle des Künstlers, von der Max Ernst in seinem Text über den Surrealismus schreibt, zeigt sich hier auf eindrückliche Weise. Denn Ernst verwendet für seine Bilder ausschließlich Vorlagen, die zur Illustration in Groschenromanen am Ende des 19. Jahrhunderts verfertigt worden waren. In akribischer Arbeit zerschneidet er dieses Material und fügt es in der Collagetechnik zu neuen Bildern zusammen. Die Feinheit der Arbeitsweise lässt kaum eine Klebestelle erkennen, auch nicht dort, wo bis zu sechzehn unterschiedliche Elemente kombiniert wurden. Dies erlaubte Max Ernst sogar in der ersten Zeit, diese Arbeiten als "Zeichnungen" auszugeben, was prompt dazu führte, dass sie als Beweis für seine technischen Fähigkeiten mit dem Bleistift herhalten mussten.

Aber würde sich der Reiz dieser Blätter auf das handwerkliche Vermögen beschränken, wären sie nach dem ersten Aha-Effekt, dass es sich hier um trickreiche Zusammenstellungen "fremden" Materials handelt, fad und hätten niemals jene Schlüsselstelle in der surrealistischen Bewegung einnehmen können, die sie heute inne haben. Vielmehr ist es eine Abrechnung mit der Gläubigkeit an die Möglichkeiten des Abbildes, justament durchgeführt mit den Mitteln des Abbildes. Indem Max Ernst hier nicht auf Varianten der Abstraktion ausweicht, zwingt er die Betrachter in einen unmittelbaren Bilderstreit.

Das Abbild desillusioniert

Diese Dekonstruktionen avant la lettre spielen aber auch mit der menschlichen Interpretationssucht. Denn die Zusammenstellungen von Max Ernst verschieben alle illustrierenden Bedeutungen, die die Vorlagen in den Groschenromanen einst hatten. Für den Roman von Ernst fehlt zudem ein ausführlicher Text, ein paar knappe Titulierungen wie die Wochentage oder die Elemente dienen eher dazu, die Fantasie der Betrachter anzuspornen, als sie in eine klare Richtung zu lenken. So werden Abbilder, die in ihrem definitorischen Gestus eigentlich die Möglichkeiten der Rezipienten beschneiden, paradoxerweise zu jeweils neuen Weltschöpfungen beim Betrachten.

Max Ernst

Une semaine de bonté

Ein surrealistischer Roman

Albertina, Albertinaplatz 1, 1010 Wien

Bis 27. 4. tägl. 10-18, Mi 10-21 Uhr

Katalog: Werner Spies (Hg.), Max Ernst, Une semaine de bonté.

Die Originalcollagen, Köln 2008,

320 Seiten, € 22,-

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