Die Stars unter den Kreuzen

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Gipfelkreuze boomen: Die Diözese Graz feiert ihr 800-Jahr-Jubiläum damit, die Diözese Feldkirch startet einen Gipfelkreuze-Fotowettbewerb

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Gipfelkreuze boomen: Die Diözese Graz feiert ihr 800-Jahr-Jubiläum damit, die Diözese Feldkirch startet einen Gipfelkreuze-Fotowettbewerb

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Gipfelkreuze sind die Stars unter den Kreuzen. Was Exklusivität und Prominenz des Standorts betrifft, können es Kirchturmkreuze noch mit ihnen aufnehmen -ansonsten, egal ob im Herrgottswinkel, am Friedhof, Wegesrand oder anderswo, alles kein Vergleich zu den Kreuzen dort, wo Erde und Himmel sich am nächsten sind. Deswegen ist es stimmig, wenn die Diözese Graz-Seckau am 1. September ihren Festreigen zur Diözesangründung vor 800 Jahren mit der Segnung eines Jubiläumskreuzes in den Triebener Tauern beschließt. Noch dazu, wo dieses Kreuz auf dem Himmelkogel aufgestellt wird. In das Stahlkreuz ist der Schriftzug "Du bist nicht allein" eingebrannt. Für den Grazer Bischof Wilhelm Krautwaschl Zeichen dafür, "was im Letzten der Glaube an Jesus ausmacht: Vom Kreuz geht alles aus, und auf das Kreuz geht alles hin. Das Kreuz ist sozusagen der Kreuzungspunkt zwischen Himmel und Erde."

"Du bist nicht allein"

Entworfen haben das Jubiläumskreuz der Medienkünstler Richard Kriesche und der Gesamtkoordinator des Diözesanjubiläums, Thomas Bäckenberger. Der beschreibt das neue Kreuz am Himmelkogel als "ein bleibendes Zeichen für unser Land, welches das Miteinander betont". Als Ausgangspunkt für die Gestaltung des Kreuzes nennt Künstler Kriesche die letzten Worte Jesu am Kreuz: "Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?" Kriesche: Die Textstelle lasse "das Allein-,das Verlorensein, das auf sich Zurückgeworfensein für einen jeden von uns, in uns und mit uns zur unabdingbaren Erfahrung werden". Dem hält das Himmelkogel-Kreuz entgegen: "Du bist nicht allein."

Gemeinschaft auch über den Tod hinaus soll die Segnung des neuen Gipfelkreuzes auf dem Kreuzjoch im Montafon am 7. Oktober symbolisieren. Anlass ist wieder ein Jubiläum: 50 Jahre Diözese Feldkirch. Künstlerische Vorlage des Gipfelkreuzes ist das Gebetskreuz des 2011 selig gesprochenen Carl Lampert, eines Vorarlberger Priesters, der 1944 von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. Daneben initiiert die Diözese einen Fotowettbewerb. Fürs schönste Gipfelkreuz-Foto auf Instagram gewinnt man einen Rundflug übers Ländle. Gipfelkreuze seien auch Wanderziele und Ort für Ruhe und Einkehr, heißt es in der Ausschreibung: Und "ein Gipfelkreuz macht so manchen Berg erst zum Berg". Für viele Touristen wie Einheimische trifft das zu, sehen sie das Gipfelkreuz doch als krönenden Höhepunkt einer Tour; und findet sich womöglich noch ein Gipfelbuch oder sogar ein Gipfelstempel am Kreuz montiert, ist das Bergglück perfekt.

Doch so wie im Tal gilt auch am Berg: Des einen Freud', des anderen Leid. Seit Beginn des Alpinismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es Kritik an baulichen Eingriffen in die Bergwelt. Vor allem Alpinisten der extremeren Spielart, wie der Wiener Spitzenbergsteiger Emil Zsigmondy, waren sich vor mehr als 100 Jahren schon einig: "Berge vertragen keine von Menschen gesetzten Gipfelzeichen." Und der alpine Feuerkopf und Vorsteiger der führerlosen Bergsteiger Eugen Guido Lammer wetterte damals schon sowohl gegen die Mode, Schutzhütten auf Berggipfeln wie die Zugspitze zu bauen als auch das Aufstellen von Gipfelkreuzen: "Was hat das Kreuz in der Gebirgsöde zu sagen? Dieses Denkmal des scheußlichsten Justizmordes aller Zeiten! Lasset doch die Sprache der Elemente rein erklingen, lasset die Natur unverfälscht zu eurer Seele sprechen!"

Ein Mal der Naturunterwerfung?

Lammers theologisches Argument gegen Gipfelkreuze: "Soll es Gottesdienst sein, diese gottatmende Einöde, diese uralte reine Gottnatur zu verfälschen mit aufdringlicher, kleinmenschlicher Sentimentalität? Wollt ihr auf den Bergen beten, so betet nicht zu euren süß-kitschigen Bildern, sondern ver ehrt eure Gottheit in der furchtbaren Erhabenheit der Naturelemente."

Der deutsche Volkskundler Martin Scharfe vertritt die Ansicht, "das neuzeitliche alpine Gipfelkreuz tut nur so, als sei es 'fromm'". Im Gegensatz zu den "alten" Kreuzen an Jochübergängen, Pässen, Gletscherenden, Wallfahrtszielen, Almen, die noch Zeichen der Bitte um Segen, der Bitte um Unheilabwehr waren, sagt Scharfe, ist das neuzeitliche Gipfelkreuz "ein Mal der Naturunterwerfung, ein Zeichen des Menschensieges; es gehört nicht mehr ins Gefolge einer Frömmigkeitsagentur, sondern ins Gefolge des Alpinismus und damit in den Sog der Aufklärung "

1989 sprach sich der Österreichische Alpenverein auf seiner Hauptversammlung dafür aus, "dass grundsätzlich keine neuen Gipfelkreuze mehr errichtet werden". Begründet wird der Beschluss damit, "die Schönheit und Ursprünglichkeit der Bergwelt zu erhalten". Wobei der Alpenverein nicht nur den Gipfelkreuz-Wuchs eindämmen wollte, sondern sich ebenfalls verpflichtete, keine neuen Schutzhütten zu errichten und keine neuen Wege anzulegen. "Wir wollen die Möblierung der Alpen hintanhalten. Die meisten Gipfel haben kein Kreuz notwendig", erklärte der Verantwortliche für Hütten, Wege und Kartografie im Alpenverein, Peter Kapelari, in einem Standard-Interview den Hintergrund dieser Politik. Die vorbehaltlos von einem unterstützt wird, der ansonsten nicht immer mit den Alpenvereinen d'accord geht. Bergpapst Reinhold Messner, übrigens glühender Bewunderer von Eugen Guido Lammer, ist ebenfalls vehementer Gegner der "Verspargelung der Alpen". Die Berge gehörten allen Menschen, sagt Messner, da habe die Demonstration einer bestimmten Weltanschauung nichts verloren: "Das Kreuz ist das christliche Symbol schlechthin, dieses gehört meiner Meinung nach nicht auf einen Gipfel."

Nur fünf der höchsten Berge der EU-Staaten

Damit wäre der Kulturkampf ums Kulturgut Kreuz auf die Bergspitze getrieben. Eine besonders skurrile Episode in diesem Streit passierte im Nationalratswahlkampf 2006, in dem der damalige BZÖ-Chef Peter Westenthaler einem gefälschten Briefwechsel auf den Leim ging, wonach der Alpenverein der Islamischen Glaubensgemeinschaft "die Anbringung eines Halbmondes an einem Berggipfel der gemeinsamen Wahl" vorgeschlagen hätte. Westenthaler musste nach einem Gerichtsurteil widerrufen. Die Aktivisten, die den gefälschten Brief in Umlauf gebracht hatten, rechtfertigten sich damit, sie wollten testen, "wie weit populistische Politiker gehen".

Wie weit die Tourismuswerbung geht, konnte man 2012 in Garmisch-Partenkirchen sehen. Damit mehr arabische Besucher kämen, war in einem Werbekatalog die Zugspitze ohne Gipfelkreuz zu sehen. Die Tourismusexperten nannten den Verzicht auf das Gipfelkreuz eine "spezielle Zielgruppenwerbung". Sowohl katholische als auch evangelische Kirchenvertreter protestierten: "Gipfelkreuze gehörten selbstverständlich zu den bayerischen Bergen."

Das stimmt vor allem insofern, als dass es Gipfelkreuze vorwiegend im deutschsprachigen Alpenraum gibt. Von den höchsten Bergen aller 28 EU-Staaten sind nur fünf bekreuzt. Das katholische Polen hat einen Grenzstein auf seinem höchsten Gipfel. Und die Italiener bevorzugen Madonnen-Statuen auf ihren Spitzen. Wobei in letzter Zeit, egal ob bei Kreuzen, Statuen, Steinmännern etc., ein Trend um sich greift, der die spirituelle Dimension dieser Gipfelzeichen ausweitet. Tibetische Gebetsfahnen flattern auf immer mehr heimischen Bergen und vielleicht bald auch am steirischen Himmelkogel und Montafoner Kreuzjoch. Und tragen die Botschaft in den Wind: Du bist nicht allein.

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