Ein Verführer auf dem Theater wie im Leben

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Vor 450 Jahren, am 25. November 1562, wurde Lope de Vega in Madrid geboren: der große katholische und neben Shakespeare wohl bedeutendste Bühnenautor der Weltliteratur.

Als im Spanien des späten 16. Jahrhunderts ein Weltreich zerbrach, stieg die Bühnenkunst der Nation zum Welttheater auf. Ihr erfolgreichster Beförderer war nacheinander desertierter Jesuitenschüler, entlaufener Theologiestudent, ständig in Liebes- und Ehehändel verstrickter Frauenverführer, gerichtsnotorischer Verfasser von Schmähschriften, schiffbrüchiger Marinesoldat, schließlich reumütiger Geistlicher und von Papst Urban VIII. (für ein Maria-Stuart-Epos) ausgezeichneter Doktor der Theologie. Vor allem aber war Lope de Vega der fruchtbarste Autor, den das Theater je besessen hat.

Als Stücke- und Personenerfinder war Spaniens Bühnentitan ein Elementarereignis. Über 1500 Comedias soll er niedergeschrieben haben, an die 450 sind erhalten; dazu rund 400 Fronleichnamsspiele und einige hundert Poeme. Oft waren diese dreiaktigen Gebrauchsstücke, die ihm die Theater aus den Händen rissen, binnen 24 Stunden fertig. Er warf sie rastlos aufs Papier, abgeschirmt in seinem Gartenhaus oder in der engen Bücherstube, ohne Bedürfnis nach Speise, Trank oder Schlaf.

Meist sind es von zerspringenden Leidenschaften beherrschte Mantel- und Degenstücke, amouröse Kreuz- und Querhändel, die mit den urspanischen Motiven Liebe, Ehre, Eifersucht und Rache das Bühnengeschehen vorantreiben. Das Publikum, an ein Höchstmaß von Verwicklungen gewöhnt, erwies sich als süchtig nach mehr vom Gleichen: fortwährender Wechsel der Handlungen in festgelegtem Rahmen.

Lopes Theater bot allen Geschlechtern und sozialen Schichten Unterhaltsames: für die Männer appetitanregende Anleitungen zur Liebeswerbung und Wahrung der Ehre, für die Frauen die ewige Lehre von der List, den Mann zu verführen. Für die Oberschicht gab es die Caballero-Abenteuer, für das Untergeschoß die Lazzi des aufmüpfigen "Gracioso“, des plebejischen Spaßmachers.

Sittenbilder und Schlachtengemälde

Wie in einem Spiegelkabinett führte Lope stets neue Drei- oder Vierecksszenen ins Treffen, in denen Liebesbetörer und -betörte ihre Verhältnisse zu klären suchen. Der Kirche im Spanien nach der Reconquista war das suspekt, weshalb sie immer wieder versuchte, dazwischenzufahren. Lope de Vega indes, durch die Gunst von Publikum und Hofstaat gedeckt, spiegelte in seinen Lustspielen, gleichsam als der dramatische Se-rienschreiber seiner Zeit, unermüdlich nicht nur die irdischen Täuschungen des Lebens wider, sondern auch das Vertrauen auf eine höhere, überirdische (Spiel-)Ordnung.

Zu diesen Sittenbildern kamen dramatische Schlachtengemälde, die den Kampf des Christentums gegen den Islam auf iberischem Boden thematisierten oder Beispiele aus Mythologie und Geschichte zeigten - oder, wie im Drama "Die neue Welt“, ein kritisches Licht auf die Eroberung Amerikas durch Lopes Landsleute warfen. Franz Grillparzer, der das Stück schätzte, bezog von Lope, dem bewunderten Vorbild, die Stoffe zu "König Ottokar“ und "Die Jüdin von Toledo“. Furore gemacht hat bis ins 20. Jahrhundert, bis zu García Lorca und der Studentenbewegung, das Volksaufstandsdrama "Fuente Ovejuna“, in dem sich ein ganzes Dorf gegen die sexuellen Übergriffe eines Feudalherrn auf ein junges Mädchen wehrt.

Das Wunder einer die gesamte Gesellschaft zusammenführenden Theaterbesessenheit hatte sich in Spaniens Goldenem Zeitalter im einfachsten Umfeld entfaltet: Die Bühne in einem von Häusern gesäumten Hinterhof war eine Plattform aus groben Brettern, doch Lopes bilderreiche Verssprache und die barocken Kostüme verwandelten die Szene zum magischen Fantasiehort. So ansteckend wirkte sein Volkstheater auf alle Stände, dass sich der Hof später, insbesondere unter dem theaterbegeisterten König Philipp IV., seine eigenen prunkvollen Räume dafür schuf.

Ein Kind der Versöhnung

Das umtriebigste Spektakel indes, das Lope hinterließ, bot sein Leben. Der Dichter liebte die Frauen - und die Dramen, die sich mit ihnen ergaben. Er war ein Verführer, auf dem Theater wie in der Liebe. Bereits in der Madrider Bäckersfamilie, die den frühverwaisten Theologiestudenten aufgenommen hatte, widmete sich der 18-Jährige der Tochter des Hauses so hingebungsvoll, dass sie schwanger wurde. Da war der junge Vater allerdings längst über alle Berge, nach Salamanca zum Studium. Die frischgebackene Mutter María de Aragon musste zur Wiederherstellung ihrer Ehre eilends mit einem Gesellen der väterlichen Brotmanufaktur vermählt werden. Der flatterhafte Dichter hatte sich inzwischen bereits erotisch neu gebunden: an die Schauspielerin Elena Ossorio, Tochter des Theaterprinzipals Jerónimo Velásquez, dem er eifrig Stücke lieferte. Als die verheiratete Elena, von der Mutter gedrängt, Lope den Laufpass gab, zieh der Verzweifelte sie und ihren Vater in Schmähgedichten des Lotterlebens und wurde deshalb gerichtlich aus Madrid verbannt.

Schon Lopes Vater, ein Seidensticker, war einer Liebschaft wegen aus seiner Ehe in Valladolid ausgebrochen. Seine Gattin Francisca war ihm eilends nach Madrid nachgereist, und als Beweis ihrer Versöhnung kam vor 450 Jahren - am 25. November 1562 - der Knabe zur Welt, der sich als Vielschreiber prunkvoll Félix Lope de Vega Carpio nannte.

Finale Zuversicht

In Valencia heiratete der Verbannte die reiche, ebenfalls von ihm schwangere Isabel de Urbina. Nur 14 Tage nach der Hochzeit begab er sich 1588 in den Kriegsdienst auf jener Armada, die vor Englands Küste schmählich Schiffbruch erlitt. Ruhmlos zurückgekehrt, trat Lope als Sekretär in den Dienst des Herzogs von Alba. 1594 starb Isabel bei der Geburt des zweiten Kindes, und Lope, der wieder in Madrid auftauchte, trat nach einem Intermezzo mit einer vermögenden Witwe erneut in den Ehestand: Dona Juana de Guardo war die Tochter eines Hoflieferanten für Fleisch und Fisch, der prompt vom Vater die Mitgift verweigert wurde, weshalb in Madrid bald die Spottzeile umlief, dass Lope "in zweiter Ehe lebend, aus Speckseiten Türme bauen möcht“.

Der gekränkte Dichter tröstete sich mit der Schauspielerin Micaela de Lujan, und das wurde nun tatsächlich eine große Liebe. In einer Ménage à trois lebte man mit wachsender Kinderschar unter einem Dach. Als nacheinander die Geliebte und die Ehefrau starben, trat der 52-Jährige 1614 (wohl auch aus vorauseilendem Gehorsam gegenüber der Inquisition) in den geistlichen Stand und erhielt die niederen Weihen: "Damit dieses Asyl mich verteidige und schütze.“

Dem Liebesengel freilich vermochte er nicht zu entfliehen: Marta de Nevares war 26 Jahre alt und gerade Witwe geworden, als sie zu Lope zog und dem 55-Jährigen eine Tochter und die Schaffenskraft für weitere Werke (viele auch zur höheren Ehre Gottes) bescherte. Als Marta erblindete und 1632, drei Jahre vor Lope, starb, bewies der Dichter jene finale Zuversicht, die ihn schon beim Tod seines geliebten achtjährigen Sohns Carlos erfüllt hatte. Auf anrührende Weise hatte er damals die Sprachmacht des Dichters und die Ohnmacht des Vaters in eine Elegie gefasst: "Wie oft, mein süßer Knabe, / fing ich dir schöne Vögel, verschieden an Gesang und Farbe, / wie oft pflanzte ich dir grüne Zweige in dein Gärtchen und Blumen, in denen ich dein Ebenbild sah. / […] Oh, mit wie göttlich schönen Vöglein kannst du jetzt spielen, die mit bunten Flügeln die himmlischen Auen des ewigen Gartens durchziehen!“

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