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Paris ist nicht die Welt

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Ueber die Zeichnungen von Hans Fronius nachdenken heißt über das Wesen der Illustration überhaupt nachdenken. Fronius, nach Alfred Kubin und neben Paul Flora heute der bekannteste und wohl auch bedeutendste lebende Illustrator Oesterreichs, stellt jetzt im Institut Français im Palais Lobkowitz seine „französischen Blätter“ aus, das sind Zeichnungen, Monotypien und Lithographien, die er zu Werken von Balzac, Julien Green, Tristan unterscheiden. Gewiß, die Blätter zu Corbieres hymnischen Bittgesang an ein bretonisches Gnadenbild vermeiden die düsteren Grautöne, mit denen Fronius sonst nicht spart, und wirken in dem holzschnitthaften Weißschwarz schlichter und unaufdringlicher als seine ausschweifenden’ Kreidezeichnungen. Aber der Stil ist auch hier nicht zarter geworden und scheint auf ein etwas oberflächliches Einfühlungsvermögen zu deuten. Dasselbe gilt für die Bilder, die Paris wiedergeben mit Jardin du Luxembourg und Jardin des Tuileries. Place des Vosges und Place de la Concorde, Bistro und Brasserie, „La Morgue“ und Cafes. Sie sind plastisch in ihren Konturen, aber sie haben wenig Atmosphäre. Das Paris, das Fronius zeichnet, ist klobig und schwer, weil sein Stil nun einmal so ist, und es fehlt ihm das Irri- sierende, Ungreifbare. Es ist dieselbe Stadt, die hinter der Moldaubrücke auftaucht, auf der Kafka lehnt. Dieses Paris ist nicht die Welt, weil es nicht Paris ist. Es führt ein schattenhaftes Dasein, und es hat keine Luft, um zu atmen. Die Häuser scheinen alt und müde, die Pferde lassen die Köpfe hängen und die Gestalten huschen gebückt und schemenhaft umher.

So leicht es auf den ersten Blick scheint, ein eindeutiges Urteil über die Zeichnungen von Fronius zu fällen, so schwierig ist es in Wirklichkeit, ihnen gerecht zu werden. Jede Illustration bedeutet den Verzicht auf Welt. Illustrieren bedeutet, etwas Vorhandenes durch Bilder erläutern; es ist weniger ein Sichtbarmachen als enubloßes Beleuchten und somit in seinem Wesen kein schöpferischer Vorgang. Fronius konnte das Fehlen der eigenen Welt durch das Faszinierende und Beschwörende seines Stils, der ihn als echten Künstler ausweist und der uns immer aufs Neue fesselt, ersetzen. An die Stelle des Hintergrundes setzt er das schwarze Gefieder des Vordergrundes, der uns für eine Weile den Hintergrund vergessen läßt. Aus diesem Grunde bewundern wir ihn.

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