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Die andere Wirklichkeit

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Fanatischer Naturalismus des 19. Jahrhunderts hat den Begriff „Wirklichkeit" auf das sinnlich Wahrnehmbare dieser Welt eingeengt, so daß wir Heutigen, an der Schwelle eines metaphysischen Zeitalters, diese Bezeichnung kaum für Vorgänge hinter der sichtbaren Weltbühne zu verwenden wagen und diese gern mit „transzendent oder „dämonisch“ umschreiben. Und doch ist unser äußeres Dasein nur der Schatten eines Lebens, das sich unsichtbar und unfaßbar abspielt, ohne unmittelbar einer dämonischen Sphäre zu entstammen. Dieses eigentlich menschliche Leben, sein ungeschminktes Antlitz erschauen, wie es am unmittelbarsten in der Welt der Träume erscheint, und im

Bilde festzuhalten, will die Kunst Hans Fronius', der, oft mit Kubin verglichen, dennoch kein Künder von Geheimnissen, sondern ein Entdecker des Wirklichen ist.

Die Grazer Galerie Moser hat eine Kollektivausstellung seines Werkes herausgebracht, in der Graphik, Illustration und Malerei gleichermaßen gezeigt werden.

Der Illustrator Fronius ist kein Buch- schmücker, er ist mitschöpferisch, enthüllt in seinen Bildern die dichterische Welt. Bezeichnend die Auswahl der Dichter, deren Werken er dient: Balzac, dem er durch innere Verwandtschaft verbunden, Kafka, der Berichterstatter des Gräßlichen, das unserem Leben die dunklen Schattenstriche verleiht, die schaudernd nur wirkliche Dichter erkennen, J. Green, Andersen, der Bänkelsänger untermenschlicher Wirklichkeit Franęois Villon, endlich Poe und E. Th. A. Hoffmann, um nur die charakteristischesten zu nennen.

Inhalt und Form bilden in seinem Werk eine merkwürdige Einheit. So ungewiß, wie wir die Hintergründe unseres Lebens und seiner Erscheinungsformen erahnen, so nebelhaft zerrissen, so fahrig und doch unheimlich selbstverständlich sind die Formen seiner Gestalten, Traumwelten, gebannt in sinnliche Wahrnehmung. Weder Kopist noch Abstraktseher (weshalb ihn keine gegenwärtige Richtung als den ihren ansprechen darf), ist ihm die seltene Gabe eigen, den für uns alle wahrnehmbaren Gegenstand in seiner tieferen, sinngebenden Wirklichkeit nicht nur zu erschauen, sondern auch darzustellen. Erkennbar und erschreckbar zugleich. Denn erst aus seinen Bildern erahnen wir sie: die Todesnähe einer Greisin, die ein gefälliger Genremaler des Biedermeiers als liebenswertes Mütterchen gemalt hätte, den inneren Sinn aller Dinge, deren Zweck wir bisher nur auf uns bezogen bestimmen konnten, vor allem aber das eigentliche Wesen des Menschen, nicht umwittert von Symbolgestalten oder theatralisch gedeutet, sondern wirklich, unheimlich wirklich. Aber unsere Augen könnten sie so nicht sehen ohne das Medium des Kunstwerks. Da ist Ligeia, das Weib, vom Künstler in ihren geheimsten Gefühlen erlauscht und wiedererschaffen, Nero, der grausame Komödiant, bald gekrönter Cäsar, possenhaft lächerlich, bald krötenhafte Kreatur, die ihr Spiegelbild im Tümpel sucht. Kreidezyklen, die eines Menschen Leben wie ein Seelenfilm wiedergeben und zweifellos zu dem Stärksten und Eigenartigsten seines Werkes gezählt werden müssen. Fast merkwürdig mutet es an, wenn zwischen diesen Bildern einer erahnten Welt oststeirische Landschaften zu sehen sind, zur Erholung und Entspannung zwischendurch geschaffen. Und doch tragen auch sie für den Beschauer zumindest in der Form schon Kennzeichen jener anderen Wirklichkeit.

Herrscht in Fronius' Werk das Grausige, ja das Entsetzen, zumindest aber das Elende vor, so ist dies zum guten Teil die Schuld unserer Zeit oder besser ihrer Menschen, deren Wirklichkeit eben nur allzuselten im Reinen und Hellen zu finden ist. Es ist aber auch die Ehrfurcht des Schaffenden, der erst durch das künstlerische Erlebnis des Dunklen und Schuldhaften geläutert werden will, bevor er es wagen darf, die höchste, die Wirklichkeit des Guten, darzustellen.

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