Lieben, Trennen, Wiederfinden

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Am Wiener Burgtheater hatte die "Trilogie des Wiedersehens" von Botho Strauß Premiere. Regisseur Stefan Bachmann überträgt diese Schnappschüsse der deutschen Kulturschickeria von Mitte der 1970er Jahre gekonnt in die Gegenwart.

Ein kleines Fenster öffnet den Blick in den Kreislauf von Botho Strauß' theatraler Kunst- und Gesellschaftsreflexion "Trilogie des Wiedersehens" (1977). Die schwarz verhängte Bühne gibt nur zögerlich die Gänge eines kahlen Museums frei, das Schauplatz von Strauß' Momentaufnahmen ist. In drei Teilen und 19 Blenden - wie Strauß die Szenen bezeichnet - liefert er Schnappschüsse der deutschen Kulturschickeria Mitte der 1970er Jahre.

Regisseur Stefan Bachmann setzt Strauß' Anweisungen konkret um: Klein-Kläuschen (Finn Bachmann) fotografiert zu Beginn die zentrale Figur Susanne (Regina Fritsch). Und dann beginnt sich die Bühne zu drehen (Hugo Gretler) und mit ihr der Kreislauf des Liebens, Trennens, Wiederfindens an diesem heißen Samstag, dem 26. Juli 1975, als Museumskurator Moritz (Markus Hering) die Ausstellung "Kapitalistischer Realismus" eröffnet. Mit dem Titel bezieht sich Strauß auf eine tatsächlich existierende (wenn auch nur kurzlebige) gleichnamige Bewegung, die von den Malern Konrad Fischer-Lueg und Gerhard Richter initiiert wurde. Die kritische Auseinandersetzung dieser Strömung mit den Konsum- und Lebensgewohnheiten der 1960er Jahre wird zum Fundament für Strauß' Kritik an den chicen und ebenso inhaltsleeren Small Talks der Ausstellungsbesucher.

Bourgeoise Kunstfritzen

Strauß begegnet dieser deutschen Kunstinteressierten-Mittelschicht-Clique mit angelerntem Ästhetik-Vokabular ironisch (Felix: "Kunst muss mythisch sein") und stellt sie gleichsam als das eigentliche Exponat aus. Und Regisseur Bachmann versteht die Vorlage als Parodie: Aus dem Oberflächen-Geschwafel dieser bourgeoisen Kunstfritzen richtet Bachmann ein komisches Gesamtbild ein. Raffiniert spiegelt er die für den Zuseher nicht sichtbaren Ausstellungsobjekte in den Figuren und ihren Beziehungen wider.

Kostümbildnerin Annette Witt kleidet diese streng in Retro-Kostüme, die die jeweilige Persönlichkeitsstruktur auf den ersten Blick freigeben. So etwa der alternde Provinz-Schauspieler Franz (Roland Koch), der im blauen Anzug und mit braunem Herrenhandtascherl seine kleingeistige Eitelkeit nicht verbergen kann, oder sein Sohn Answald (Daniel Jeschke), ebenfalls Schauspieler, der unbeholfen mit einem Geschenk (einer Lampe, die vorgibt, Kunst zu sein) über die Bühne stapft und wohl besser Philosoph geworden wäre.

Vor der Betrachtung von Gerhard Richters oder Andy Warhols Werken spielen sich in der Zwischenzeit private Dramen ab, in welchen die damalige Forderung, das Private sei politisch und umgekehrt, unter die theatrale Lupe der Gegenwart gezogen wird. Und diese zeigt bei genauer Betrachtung einen gesellschaftspolitischen Diskurs, der die jüngste Vergangenheit ins Gedächtnis ruft und eine Konfrontation mit dem Heute herstellt.

Die direkte Benennung des "Klassenunterschieds in der Mentalität", der vor allem die Beziehung zwischen der Künstlerin Marlies (Melanie Kretschmann) und dem Kaufhof-Verkaufsleiter Felix (Jörg Ratjen) scheitern lässt, ist einer beschönigenden Rhetorik gewichen. Die beflissenen Schreibversuche des Druckers Richard (Dietmar König) lassen an Karin Strucks Arbeiterliteratur denken, der die romantische Innerlichkeitsprosa des "professionellen" Schriftstellers Peter (Handke?; dargestellt von Philipp Hauß) gegenübersteht.

Schwips und Schwüle

Am Ende des zweiten Teils kommt dramaturgischer Schwung in Strauß' Konversationsstück: Kiepert, im Vorstand des Kunstvereins, soll endlich auftreten. In Erwartung des kunstmächtigen Urteils friert die Szene ein und alle Schauspieler posieren nackt. Kiepert bleibt der unsichtbare Richter in diesem Stück, der den Konflikt über die Frage nach einer zeitgemäßen Ästhetik eröffnet.

Bachmann beantwortet diese Frage mit einem Zitat: Die nackten Schauspieler-Popos verweisen zugleich auf das berühmte Kommune-1-Foto und altbekannte Palmers-Plakate.

Am Ende öffnet die Burgtheater-Bühne schließlich ihre Tiefe: es regnet an diesem heißen Juli-Tag; der schwüle Wasserdampf und Prosecco-Schwips lassen die letzten Regeln der Etikette fallen: am Herrenklosett protzt Martin (Johann Adam Oest) mit seinen Affären, Susanne gibt sich als völlig mittellos zu erkennen. Nach all dem Gerede hat schließlich nur eines wirkliche Kraft zum Überdauern: die Sehnsucht nach der Liebe.

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