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Ein Plädoyer für kompromisslose Ironie

Satte Tugend" und "zahlungsfähige Moral" - das hasste Heinrich Heine mehr als "große Laster". Und die Pfaffen: die kirchlichen ebenso wie "die fanatischen Pfaffen des Unglaubens", die er gegen Ende seines Lebens attackierte. Leidenschaftlich trat er für Emanzipation und Gerechtigkeit ein, aber er wollte keinen "Freiheitsstall", bewohnt von "Gleichheitsflegeln".

Gemütlich zu lesen ist Heine für niemanden - auch heute nicht. Er ist gelegentlich inkonsequent und sicher kein "abstrakter Denker", wie er selbst bekannte. Aber kein deutscher Dichter hat sich in die Hirne und Herzen so vieler Menschen geschrieben wie er. Das habe ich in Paris erfahren, wo mir ein junger Mann begeistert zeigen wollte, wo "ein" (so sprechen ihn die Franzosen aus) gewohnt hat, wie vor 20 Jahren im noch sowjetischen Litauen, als mir ein weißhaariger Mann mit leuchtenden Augen die "Loreley" auswendig sprach, um eine Brücke zu mir und meiner Sprache zu schlagen.

Ich habe in den letzten Jahren für die Furche wie für meine Universitätsvorlesung die Werke so mancher Poeten des 18. und 19. Jahrhunderts durchwühlt und gelegentlich die Interpretationen interessanter gefunden als etliche der Texte selbst. Bei Heine geht die größte Faszination immer von ihm selbst aus. Auch fürs Feuilleton kann man von ihm mehr lernen als von manchen heutigen Reportagen: Wie man Gedanken in Landschaften und Physiognomien "verortet" oder wie man Ironie schafft allein durch die gleichwertige Aufzählung disparatester Dinge ("Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste und Universität", so der berühmte Beginn der "Harzreise", in der dann bald noch mehr schreiende Gegensätze in einen einzigen Satz gespannt werden).

Heines Ironie gegen den "Übermut des Reichtums und der Gewalt" ist heute so notwendig wie zu seiner Zeit. Menschen, die mit biederer Überzeugung für alles mögliche sind, gibt es ohnehin genug. Und die, denen alles egal ist, sind noch viel zahlreicher. Klar zu wissen, wogegen man ist und warum, das ist eine Haltung, die man gerade von Heine lernen kann. Und eine Religiosität ohne "Glaubens-Uniform", die Ironie gerade bei den "heiligsten" Überzeugungen ins Spiel bringt, um gegen jede billige Harmonie auf den Widersprüchen der Welt zu beharren. CH

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