Starre Haltungen, kalte Welt

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In seinem 1843 verfassten Drama "Maria Magdalena“ nimmt Friedrich Hebbel die Diskrepanz zwischen individueller Selbstgerechtigkeit und gesellschaftlicher Verantwortung in den Blick.

Mangelnde Zivilcourage kann man dem Burgensemble wahrlich nicht nachsagen. Wenige Tage vor der Premiere von Friedrich Hebbels "Maria Magdalena“ sprach die Mehrheit der Burgschauspieler ihr Misstrauen gegen Direktor Matthias Hartmann aus.

Um gewinnsüchtige Taxierungen und fehlende Courage geht es auch bei Hebbel, der in seinem 1843 verfassten Drama "Maria Magdalena“ die Diskrepanz zwischen individueller Selbstgerechtigkeit und gesellschaftlicher Moral in den Blick nimmt.

Katastrophale Folgen

Damit lässt sich gewissermaßen auch eine Parallele zwischen Hebbels Drama und der aktuellen Situation am Burgtheater herstellen, dessen Vizedirektorin Silvia Stantejsky Ende des letzten Jahres gekün-digt wurde. Von Hartmann und Springer wird sie bis heute als die allein Verantwortliche in Sachen unregelmäßiger Buchführung dargestellt. Doch sollte man nicht von einer umfassenden Verantwortung des Leiters der österreichischen Kulturhochburg ausgehen dürfen? Das heißt auch: von einem Maß an Identifizierung, das mehr als nur künstlerisch-ästhetische Bereiche betrifft?

Selbstzufriedenes, wehleidiges Scheuklappen-Denken hat katastrophale Folgen, so lautet jedenfalls Hebbels Ansatz. Besonders an seiner Tragödie ist, dass sie allein in der bürgerlichen Welt spielt und nicht - wie etwa bei Lessings "Emilia Galotti“ - den Konflikt dort ansiedelt, wo das Bürgertum auf den Feudaladel trifft. Die für das bürgerliche Trauerspiel konstitutive Vater-Tochter-Beziehung aber übernimmt Hebbel: Da ist der Tischlermeister Anton (Tilo Nest), der seine Familie mit engherziger Rechtschaffenheit tyrannisiert, seine Tochter Klara (Sarah Viktoria Frick) ist dem Mitgift-heischenden Leonhard (Lucas Gregorowicz) versprochen und hat bereits seinem (sexuellen) Drängen nachgegeben, als sie schließlich ihre Jugendliebe wieder trifft.

Das Unheil nimmt seinen Lauf, als Klaras Bruder Karl (Tino Hillebrand) des Juwelendiebstahls verdächtigt wird. In den kleinbürgerlichen Vorstellungen des rechthaberischen Vaters gibt es aber weder Mitleid noch Loyalität zu den eigenen Kindern. Meister Anton geht es ausschließlich um den eigenen Ruf und Prestige. Falsche Ehrbegriffe und persönliche Gewinnsucht leiten die Männer in dieser Tragödie. Hebbel etabliert geschwätzige Charaktere, die mit vielen Worten nichts sagen. Unreflektiert zeigt sich über deren Sprache diese enorme Verständnislosigkeit füreinander. "Ich verstehe die Welt nicht mehr!“, lauten auch die letzten Worte von Meister Anton, der nicht einen einzigen Augenblick sein Weltbild in Frage stellt.

Sämtliche Männer in "Maria Magdalena“ (der Titel verweist auf die biblische Figur) verurteilen das Mädchen, allein ihr wird die Malaise zugeschrieben. Der Geliebte (Albrecht Abraham Schuch) wendet sich von ihr ab, weil sie sich mit Leonhard eingelassen hat, dieser wiederum sagt sich von Klara los, als er entdeckt, dass er keine Mitgift mehr erwarten kann. Den Frauen bleibt nur die Flucht in den Tod. Klaras Mutter stirbt an gebrochenem Herzen, Klara ertränkt sich.

Starre Haltungen

Dieser Konstellation starrer Haltungen und kalter, kleinbürgerlicher Mentalität entspricht Michael Thalheimers Regie-Zugriff vortrefflich. Er etabliert statische Situationen, in denen die Figuren nicht interagieren. Thalheimers konzeptioneller Zugang passt zu Hebbels Intention, die er in seinem Tagebuch notierte: "Ich hatte mich sorgfältig zu hüten, mich bei der Arbeit zu erhitzen, um nicht über den beschränkten Rahmen des Gemäldes hinweg zu sehen.“

Allen voran überzeugt Regina Fritsch als Mutter, die wieder einmal grandios ihre Bandbreite zum Besten gibt. Zwischen süßer Betulichkeit und der Aggression Todgeweihter tut sich allein über ihre Stimme eine Welt auf. In Thalheimers Regie sind sämtliche Darsteller auf ihre Mimik und Stimme konzentriert, um Haltungen zu erzeugen. Starrheit, Habgier und Lebenslust werden überdeutlich zum Ausdruck gebracht, so steht Klaras offenes Gesicht jenem ihres Bruders entgegen, der als sinistrer Charakter beeindruckt. Verzweifelt-dunkle Klangflächen und tinnitusartig hohe Töne (Bert Wrede) wechseln einander ab. Mitten in diesem düsteren Bühnenbild (Olaf Altmann) steht eine enge Kammer mit einem Kreuz. In dieser streng protestantischen Familie hängt allerdings schon bald der Haussegen schief, wie auch die Burgbühne selbst.

"Maria Magdalena“ ist mehr als ein ästhetisch gelungenes Schauspiel, es lässt sich auch als Ansage für verantwortungsvolles Handeln und Loyalität verstehen.

Maria Magdalena - Burgtheater 28. Februar, 1., 7., 13., 27., 28. März

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