6712225-1964_26_09.jpg
Digital In Arbeit

FRIEDRICH HEBBEL IN GMUNDEN

Werbung
Werbung
Werbung

„Ich habe Shakespeare immer für unerreichbar gehalten“, schreibt Friedrich Hebbel am 14. August des Jahres 1855 in sein Tagebuch, „und mir nie eingebildet, ihm in irgend etwas nachzukommen. Dennoch hätte ich in früheren Jahren immer noch eher gehofft, einmal einen Charakter zu zeichnen wie er, als mir, wie er, ein Grundstück zu kaufen. Nichtsdestoweniger habe ich heute Mittag, 10 Uhr, einen Kontrakt unterzeichnet, durch den ich Besitzer eines Hauses am Gmundner See geworden bin!“

Um die Bedeutung dieses Ereignisses zu ermessen, erinnere man sich dagegen der ersten dreißig Jahre dieses Dichters: Hunger, Kälte, Not, Unverständnis, Entbehrung, Verstrickung in persönliche Nöte, die selber wieder geboren waren aus Hunger, Not und Entbehrung; dazu die beinahe übermenschlich anmutende Anstrengung, sich aus dem Dämmer einer unzulänglichen Schulbildung in jene Regionen hinaufzuarbeiten, die dem jungen, intelligenten Maurersohn aus Wesselburen als einzig erstrebenswert erschienen. Er erreichte sein Ziel unter so bitteren Umständen, daß sich heute wohl schwerlich ein Student bereitfände, sie in gleicher Weise auf sich zu nehmen. Die Doktorwürde des jungen Friedrich Hebbel war daher eine sehr hart erworbene Krone und eine dazu, die ihn wahrscheinlich viele Jahre seines Lebens gekostet hat.

Der Wendepunkt zum Besseren kam erst im Jahre 1845, als Hebbel auf der Rückkehr von einer Studienreise kränklich, mittellos und ohne jegliche Hoffnung auf Erfolg, einige Tage in Wien Station zu machen gedachte. Aus den wenigen Tagen wurden achtzehn Jahre, denn unerwarteterweise gab ihm gerade Wien all das, dessen er dringend bedurfte: dem Dichter Interesse, Erfolg und Anerkennung — und dem Menschen vor allem das Erlebnis einer glücklichen Familie. Und durch diese Familie ergab sich — anfänglich wohl zufällig und scheinbar bedeutungslos — die Beziehung zu Gmunden.

„Von einer solchen Gegend hat man bei uns in Holstein keine Vorstellung ...“, berichtet Hebbel einem Freund nach Wesselburen, als er ihm schreibt, daß er sich in Gmunden „angekauft habe“.

Wenn man die zahlreichen Brief- und Tagebuchstellen aus jener Zeit aufmerksam studiert, kann man sich des Gedankens nicht erwehren, daß eine unüberwindliche, geheimnisvolle Bindung den Dichter in Gmunden sogleich ergriffen haben muß, denn schon bald nach dem ersten Jammer über das hoffnungslos verregnete „Entree“ folgen angenehmere Nachrichten an die Freunde: „...uns verstreichen die Tage hier sehr angenehm...“ heißt es da, oder: „... wir haben eine Reihe schöner Tage gehabt, und die Umgebung von Gmunden, die unendlich reizend ist, buchstäblich abgesucht...“, bis die Berichte schließlich den Höhepunkt des Sommers — aber ist es nicht eigentlich: Höhepunkt des Lebens —- nen-nenV.,....E, I^^Vk daß.ich mich gestern hier angekauft habfr../\ Reißt es in einem Brief vom. 9. August 1855, und weiter: „... natürlich nur in bescheidenem Stil, um zirka 300 Gulden C. M. Ich nenne jetzt ein hübsches Haus nebst einem großen Garten mein... Es ist für künftige Zeiten.“

Es war für künftige Zeiten, denn wenn man all die schriftlichen Zeugnisse, die sich um den Erwerb und den Besitz des kleinen Häuschens in Gmunden drehten, genau und sorgfältig betrachtet: Es findet sich von da an ein neuer Ton in den persönlichen Aufzeichnungen des Dichters, eine Freude, die nicht nur erster Überschwang ist, sondern sich auch über alle kommenden Jahre ausbreitet und das winzige Haus in der kleinen unbedeutenden Stadt zu einem wahren Ruhepunkt werden läßt, der seinen Zauber bis zu Hebbels Tod nie mehr einbüßt. Nie mehr schwindet das erlösende Gefühl: „ ... wir sitzen bereits auf unserem Eigenen, es gibt eine Tür, aus der ich nicht hinausgeworfen werden kann und einen Garten, über dessen Planke ich nach Belieben klettern und springen darf ,..“

Immer wieder stoßen wir daher auf Stellen in den Schriften, die die Freude an Gmunden und die Freude am kleinen Haus bezeugen; immer wieder gehen liebevolle Schilderungen aus der Sommerheimat zu den Freunden hinaus. Den einen bedauert Hebbel, daß er Gmunden nur bei trübem Wetter sah: „...denn dieser Fleck ist einer der schönsten, den die deutsche Erde aufzuzeigen hat...“, einem anderen berichtet er von einem Regentag: „. ..Ein seltsamer Eindruck, wenn man sich mitten im Gebirge einbilden kann, in der Ebene zu sein.“ Und ein andermal wird die leise Wehmut des Abschieds spürbar: „...Leider sind nur mehr vier solcher Tage unser...“

Aber immer wieder kommt ein Sommer und mit ihm die Möglichkeit, den Juli und den August in dem stillen Tuskulum zu verbringen. „Es ist schon der fünfte Sommer, den ich hier zubringe und der schönste von allen, denn jeder Tag ist ein goldener Teller, unschätzbar an sich, wenn auch nicht immer silberne Äpfel darauf gelegt werden...“ Rührend ist auch die Bitte um Pardon: „...Entschuldigen Sie die lange Verspätung meiner Antwort mit dem ganz wunderbaren Wetter der diesjährigen Ferienmonate meiner Frau ...“ Wenn sonst nämlich die Erledigung der Korrespondenz eine willkommene Beschäftigung für verregnete Tage war: „... diesmal aber schritt die Zeit in blauem Taft an uns vorbei...“

Bis zum letzten Jahr kommt immer wieder die Rede auf die kleine Stadt: „...es gibt wenig Punkte auf der deutschen Erde, die sich mit Gmunden vergleichen lassen ...“ — „ ... Ich freue mich, daß ich mich ... nicht abhalten ließ, nach Gmunden zu gehen ...“

Und „... was unser Haus betrifft“, schreibt Hebbel im Juni 1863 seiner Familie nach Wien, „so haben wir darin die erste Zeit biwakiert, dann wohnten wir einige Jahre behaglich und jetzt fangen wir zu residieren an...“

„Unser Schloß ist ein simples Bauernhaus und keines von den größten; unsere Güter bestehen in einem Garten von 360 Quadratklaftern; alle Bedingungen zu einem Idyll waren also gegeben...“, schreibt der Dichter — schon 1856 nach Düsseldorf.

Es mutet eigenartig an, sich gerade den scharfgeistigen und kritischen Friedrich Hebbel als einen Menschen vorzustellen, der einer solchen Idylle verfallen kann. Aber es sind immer wieder seine eigenen Zeugnisse, die aus dem Rahmen des angestrengt um seine geistige Stellung bemühten Dichters das Bild des Menschen Friedrich Hebbel hervortreten lassen — vielleicht das wahrste, weil innerlichste Bild:

„... Seit ungefähr acht Tagen sind wir wieder in Gmunden ... Unsere Tür war zum Empfang von der alten Frau, die das Häuschen bewohnt, mit einer Blumengirlande geschmückt Rosen und Lilien stachen in ausnehmender Schönheit hervor, und da diese mir so nahe stehen, als ob ich schon im Schoß meiner Mutter von ihnen geträumt hätte, so können Sie sich denken, wie sehr die kleine Aufmerksamkeit mich gerührt hat.“ Und immer wieder bemerkt er die Lieblingsblumen: „ ... Rosen und Lilien umspinnen das Fenster und mein Töchterlein hüpft fünfzig Mal des Tages vorüber...“, und ein andermal: „...Die Lilien und Rosen meines Gärtchens sind so schön, daß ich mich nicht enthalten konnte, die Stöcke zu umarmen, als ich sie zuerst erblickte ...“ Oder des Abends: „Es ist acht Uhr abend, der Regen klopft an mein Fenster, aber ich sitze in meinem großen, neu austapezierten Zimmer ganz behaglich im Schlafrock, und ein mächtiger Strauß — oder vielmehr Busch von weißen Lilien, die in meinem eigenen Garten gewachsen sind, steht in vergoldeter Vase vor mir..

Und auch das ist Idylle, wenn der Dichter der großen Tragödien seinen Freunden gesteht: „ ... Ich füttere mit Gemütsruhe junge Ziegen, die in meinem Obstgärtchen herumspringen, und unterrichte junge Elstern im Sprechen, als ob ich die Schlacht bei Austerlitz gewonnen hätte ...“

Der Hauch einer liebevollen Verbundenheit, welcher der Familie des Dichters eigen war, hängt unvermindert auch an all den Dingen, die die Stadt Gmunden heute als Erinnerungsstücke bewahrt, welche die vielfältigen Verflechtungen aufdecken lassen, die von des Dichters Lebenszeit bis in die unsere herüberreichen. — Auch museale Gegenstände gewinnen Leben, wenn man sie in der rechten Beleuchtung sieht — das Hochzeitssträußlein des Dichters ist mehr als nur ein dürres braunes Büscherl; die Gedanken, die in jener Stunde, da er es trug, in Hebbels Herz gewesen sein mögen, sind in den vertrockneten Blumen noch immer enthalten. Und der Glücksklee — es bleibt eigenartig, ihn so zu betrachten und die Anmerkung zu lesen: Gepflückt in Gmunden, 1857. Manche kleinen Gegenstände schließen sich da zu einer rührenden Familiengeschichte zusammen; vielleicht haben die Gattin oder die Tochter dem Dichter diese Dinge als Geschenk ihrer Liebe gebracht: das Tintenzeug, das schön geschliffene Glas, den Briefbeschwerer mit dem unvermeidlichen „Pinscher“. Die Feder die wir sehen, ist Hebbels „letztafKieifeder?^ bestätigt und. beglaubigt von seiner Gattin. Was aberam meisten und am .heimlichsten *r-schüttert: dt i Locke; dier Christine' Hebbel-Engha'us ihrem' Gatten in der Todesstunde vom Haupt nahm — welch feines blondes Haar; daneben: Hebbels Todesantlitz. Diese Maske ist das Gesicht eines Menschen, dessen fünfzig zählbaren Lebensjahre noch zusätzlich dreißig Jahre an Leid und Not enthalten. Es ist die Maske eines ausgeschöpften Lebens.

Aber nicht nur tote Gegenstände, die mit der Zeit ihr Fluidum verlieren, weil sie immer weiter in ein gewisses „Es war einmal“ zurücksinken — nicht nur Vergangenheit ist in Gmunden bewahrt geblieben, sondern mehr. Hebbels Urenkelin lebt mit ihrer Familie in Gmunden und behütet hier ein wertvolles persönliches Erbe. Ein wirkliches „Hebbel-Zimmer“ ist aufgebaut innerhalb des Kreises di'pser Familie; es ist miteinbezogen in das Geschehnis um diese Menschen, die sich des Dichters und Ahnherrn in einem lebhaft erinnern. Wie sollten sie auch nicht, wenn sie an seinem Tisch, auf seinen Stühlen sitzen, wenn sie sein Schreibpult benützen und seine Bilder, seine Möbel — Hebbels Dinge um sich haben. In diesem Zimmer hängt das Bild des kleinen Hauses, wie es Freund Gärtner dem Dichter geschenkt hat — jener Freund, mit dem Hebbel die ersten Gedanken über seine „Nibelungen“ besprach, in jenem bedeutungsvollen Sommer 1855 in Gmunden.

Zwischen dem Bild und der kleinen Ururenkelin, die mit Begeisterung „Die Linde“, ein kleines Gedichtchen — mehr vielleicht zum Zeitvertreib als im Ernst in jenem letzten Sommer 1863 in Gmunden geschrieben —, deklamiert, spannt sich ein weiter Bogen. Er reicht von der Befriedigung, die dem Menschen Friedrich Hebbel das kleine Besitztum im Ort gegeben hat, bis zur Vollendung seines Lebens.

Das kleine Haus steht noch, doch hat die Zeit viel Veränderung über seine Gestalt gebracht. Aber eine schöne Gedenktafel, die die gegenwärtigen Besitzer Hebbel zu Ehren anbringen ließen, soll jeden, der vorbeigeht daran erinnern, welche Bedeutung diesem ehemals unscheinbaren Haus zukommt. Es ist noch immer das Haus eines Dichters; es ist noch immer das „Hebbel-Haus“.

Es gibt eine Stelle in Hebbels Schriften — sie stammt vom 4. Juli 1860 —. die, wenn man sie mit der späteren Zeit konfrontiert, erschütternd ist. Es heißt da nämlich in einem Brief an Freund Glasser- „... ich schreibe jetzt aus einem Balkonzimmer, das auf schlanken, wenn auch gerade nicht jonischen Säulen ruht...“.

Drei Jahre später — in der Nacht zum 13. Dezember 1863 — erklingt die analoge Stelle aus Schillers Gedichten:

„Künstliche Himmel ruh'n auf schlanken jonischen Säulen, Und den ganzen Olymp schließet ein Pantheon ein.“ Damals las Hebbels junge Tochter Christine ihrem sterbenden Vater diese Verse vor — es waren die letzten. Seitdem bezeichnen breite rote Seidenbänder die bedeutungsvolle siebenundsiebzigste Seite in dem alten Buch. Wenn man sie aufschlägt, steigt heute noch lebhaft und eindringlich die Erinnerung an einen großen Sucher auf. an einen Menschen, der die Dramatik seines persönlichen Lebens in die Dramatik seines Werkes verwandelte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung