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Die „Faust“-Inszenierung am Burgtheater nennt die „Berliner Zeitung“ eine „Siebenstundenqual“ – und Schimmelpfennigs Sozialkritik gefällt auch nicht.

Sie haben wieder einen „Faust“ in Wien. Beide Teile, in Starbesetzung. Gert Voss als Mephisto, Tobias Moretti als Faust. Ignaz Kirchner, Joachim Meyerhoff, Caroline Peters sind dabei, und Katharina Lorenz spielt Gretchen. Sie spielt es mit einer wunderlichen Mischung aus trotziger Naivität und beißendem Selbstbewusstsein: eine Frau, die nie in tumber Liebesblödigkeit versinkt, nirgends zum braven Herzensdingelchen wird. In diesem Gretchen ringt die Sehnsucht nach Glücksvollkommenheit mit zweifelsgetränkter Bindungsangst. Es ist, als wohnten, ach, zwei Seelen ihr in der Brust. Die eine schmachtet dem Faust-Glück entgegen, die andere fasst sich darüber an den Kopf. Dieses Gretchen ist auf keinen Nenner zu bringen – sie ist ein präzises Rätsel ihrer eigenen Widersprüchlichkeit.

Das hat Seltenheitswert, vor allem an diesem Abend, den es zu verschweigen gälte, befänden wir uns nicht am Wiener Burgtheater. Die Burg ist, noch immer, eine der wichtigsten deutschsprachigen Bühnen: das beste Budget, das größte Ensemble, die höchsten Ansprüche. Zehn Jahre hat hier Klaus Bachler als Nachfolger Claus Peymanns gethront, mit dieser Saison übernimmt Matthias Hartmann das Direktorat. Er wollte, hat er der Lokalpresse gestanden, das Haus „mit einem Aplomb eröffnen, mit einer gewissen Geste“. Mit dem „Faust“, beide Teile. Das gab es zuletzt vor 40 Jahren. Endlich!, atmete die ins Klassische verliebte Stadt auf, endlich wieder „Faust“ an der Burg.

Peymann hat es geplant, Bachler gewollt, Hartmann …

Peymann hatte es geplant und nicht zustande gebracht, Bachler wollte seine Intendanz mit dem Goethe-Großprojekt beenden. Jürgen Gosch sollte inszenieren – und musste das Vorhaben sterbenskrank abbrechen. Hartmann war auffallend schnell zur Stelle, um sich von ihm die Erlaubnis abzuholen, das Projekt übernehmen zu dürfen. Katharina Lorenz ist jetzt die Einzige, die auch bei Gosch spielen sollte. Der Rest ist Hartmann-Werk. Und dieser Rest ist – ein Desaster. Hartmann hat den Willen zur großen Geste, das gute taktische Gespür, dass man mit einem „Faust“ an der Burg Eindruck macht. Mehr hat er nicht. Keine Haltung zum Stoff, keine inhaltliche Idee und offenbar kein Inszenierungsvermögen, das über das bloße Organisieren des Textmaterials hinausweist. […]

Bar jeder politischen und ästhetischen Verbindlichkeit

Alles ist bar jeder gesellschaftlichen, politischen, ästhetischen Verbindlichkeit. Hier wird Theater ohne Geist gemacht, hier will einer unbedingt gefallen. Hartmann, der Regisseur, hat sich in Wien mit dieser Siebenstundenqual als Blender eingeführt; Hartmann, der Intendant, hat aber gottlob nicht nur sich selbst als Inszenator engagiert, auch wenn er sich nicht zu schade ist, fünf eigene Inszenierungen von seinem vorherigen Direktorenposten aus Zürich mitzubringen.

Einen Tag nach dem „Faust“-Unglück ließ er Roland Schimmelpfennig im Akademietheater sein Stück „Der goldene Drache“ uraufführen. […]

Dennoch kann der kurzweilige Abend nicht vertuschen, dass Schimmelpfennigs Sozialkritik ins große, belanglose Achselzucken mündet – bös und ungerecht und schlecht ist die Welt, das Leben, die Gesellschaft, aber doch nicht so bös und ungerecht, dass wir uns davon einen Theaterabend vermiesen lassen würden. Schick schaut sich das an. Die existenziell abgründige Seite, die im Text stecken mag, kassiert die Regie aber. Dem Regisseur Matthias Hartmann wird das gefallen haben. Sie haben einen neuen Burgdirektor in Wien, sie haben die größte, schönste, anspruchsvollste Bühne. Hoffen wir, sie bekommen in Zukunft das entsprechende Theater.

* „Berliner Zeitung“, 7. September 2009

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