Eine enorme Gedächtnisleistung

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An einem Tag wurden Goethes "Faust I" und "Faust II" am Linzer Landestheater aufgeführt. Dem israelischen Regisseur David Mouchtar-Samorai gelang dabei eine durchaus sehenswerte Bühnenproduktion.

Obwohl nunmehr auch der zweite Teil von Goethes Faust Premiere hatte, müssen wir einen retrospektiven Blick auf den ersten Teil der Tragödie werfen, der schon im Jänner dieses Jahres erstmals über die Landesbühne ging. Beiden Teilen gemeinsam sind die erhebliche Reduzierung des Textes, die coole, karge Bühne von Heinz Hauser und die Musik von Ernst Bechert. Dramaturgie: Franz Huber.

Eine verhängnisvolle Wette

Erster Teil: Mephisto (Vasilij Sotke) hat soeben mit Gott eine Wette um die Seele des Doktor Faust (Georg Bonn) abgeschlossen, während dieser über seinen Büchern eingeschlafen ist. Ein Hauptdarsteller, der auf seltsame Weise ohne Antrieb zu sein schien, denn wir haben Bonn schon in verschiedenen Rollen als guten Menschendarsteller erlebt.

Trotz manch kritischer Anmerkung gilt mein Respekt dem Ensemble, das in Mehrfachbesetzungen auftritt, für die enorme Gedächtnisleistung und die insgesamt sehenswerte Produktion. Besonders beeindruckend war Guido Wachter als Lynkeus. So schön kann die deutsche Sprache sein!

Die Idee, die Rolle des Gretchens von einer erwachsenen jungen Frau (Isabella Szendielorz) spielen zu lassen, fügte der Figur eine durchaus natürliche, neue Facette hinzu, die sie allerdings schneller zur Frau werden ließ. Katharina Hofmann gefiel als die gefällige Nachbarin Marthe. In den Gretchen-Szenen von eher konservativem Zuschnitt wirkte Bonn gelöst, sodass einige schöne und intensive Momente entstanden, letztere insbesondere im Kerker, aus dem Faust das Gretchen, zur Kindsmörderin geworden und dem Wahnsinn verfallen, vergeblich zu retten versuchte.

Zweiter Teil: In der Linzer Inszenierung (Choreografie: Otto Pichler) ist die Verbindung zwischen dem ersten und dem zweiten Teil der Tragödie durch die Figur des Faust gegeben. So wird dem alten Faust des zweiten Teils, der als Johann Wolfgang von Goethe an seinem Lebenswerk schreibt und in dessen Schaffensprozess wir durch das Bühnengeschehen Einblick erhalten, der junge Faust (Georg Bonn) zur Seite gestellt. Stefan Matousch gibt der Rolle des alten, immer noch an allen Neuerungen einer modernen Zeit interessierten Faust Würde und überzeugendes Profil.

Aus tiefem Schlaf erwacht, hat Faust die Gretchentragödie vergessen und erscheint gemeinsam mit Mephisto vor einem Kaiser (Karin Enzler), der in finanzieller Not ist. Mephisto erfindet für ihn das Papiergeld, das seine wirtschaftliche Not nur scheinbar lindert.

Jung trifft alt

Im Auftrag des Kaisers zeigt Faust ein Maskenspiel, das im Erscheinen der Inkarnationen von Paris und Helena (faszinierend schön: Isabella Szendielorz) seinen Höhepunkt findet. Prompt verliebt sich Faust in Helena, doch der Zauberwahn zerplatzt. Im zweiten Akt bringt Mephisto Faust in sein altes Studierzimmer, wo Dr. Wagner, sein einstiger Famulus (Thomas Bammer) inzwischen Homunculus, den künstlichen Menschen, geschaffen hat. Mit dem Auftritt der Hexe Erichto (Katharina Hofmann) im dritten Akt wird die klassische Walpurgisnacht eingeleitet. Menelaos will sich an Helena rächen, aber Mephisto rettet sie und bringt sie zu Faust auf eine Burg, wo sie eine Ehe eingehen und einen gemeinsamen Sohn haben mit Namen Euphorion, ein Symbol für die Vereinigung von Geist und Schönheit. Doch geht alles verloren, da der Knabe ein ähnliches Schicksal wie Ikarus erleidet, abstürzt und die Mutter mit ins Grab reißt. Im vierten Akt erklärt Faust dem Teufel, dass er dem Meer Land abgewinnen möchte, und im fünften ist Faust zum Unternehmer geworden. Das Anwesen von Philemon und Baucis stört als einstige Trutzburg seine Pläne. Mephisto löst dieses Problem gewaltsam, was in Zeiten wie diesen unweigerlich an die Immobilien-Spekulanten und Börsenhaie erinnert. Bereits erblindet, verliert Faust seine Wette, und Mephisto glaubt nun, endlich dessen Seele zu bekommen.

Wir aber schließen die Klammer mit dem über seinen Büchern eingeschlummerten jungen Faust im ersten Teil der Tragödie, um ihn am Ende des zweiten Teils als gealterten Faust (Stefan Matousch) vermeintlich schlafend in seinem Bett zu finden, ehe sein Unsterbliches von den Engeln entführt und damit dem Zugriff Mephistos entzogen werden kann.

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