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Ostlich der Elbe

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Der Londoner „E c o n o m i s t“ brachte vor kurzem einen Beitrag „östlich der Elb e“, in dem ein Bild der großen Veränderungen gegeben wird, die im letzten halben Jahre die gesamte soziale und wirtschaftliche Struktur Ostdeutschlands derart änderten, daß sie kaum mehr erkannt werden kann. „Es kommt einem so vor“, so lesen wir, „als ob der Zwischenraum zwischen Ural und Baikalsee und der zwischen Spree und Elbe eingeschrumpft wäre und als ob ein ganz phantastischer Erdsturz Leipzig und Dresden in die unmittelbare Nachbarschaft von Charkow und Chelabinsk gebracht hätte.“

Die hauptsächlichen Programmpunkte der russischen Militärregierung sind die Bodenreform und die Nationalisierung der Industrie. Die Rote Armee hat die großen Besitze der Junker, von denen man jetzt einige in Zigeunerwagen reisend in der britischen und amerikanischen Zone begegnen kann, enteignet. Diese Besitze wurden von der Roten Armee als Verpflegungsbasis benützt, aber in der letzten Zeit zur Hälfte durch das Quartiermeisteramt der Sowjets wieder den deutschen Provinzialverwaltun-gen zur Verteilung unter Farmer, Bauern ohne Land und an Deutsche, die aus den

' östlichen Gebieten vertrieben worden sind, übergeben. Es ist geplant, bis zum Jahresende alle Besitze den Deutschen zurückzustellen, was nicht bedeuten soll, daß sie ihren früheren Besitzern zurückgegeben werden. Die Verteilung, so heißt es im „Eco-nomist“, wird in einer etwas rauhen Form durchgeführt. Hundert Hektar ist das Maximum der Größe einer Farm, eine Verfügung, die streng durchgeführt wird, ohne Rücksicht auf die Fruchtbarkeit des Bodens. Die stärksten Gegensätze drehen sich um den zukünftigen Aufbau der Landwirtschaft. Die Russen und die Kommunisten bevorzugen in Erinnerung an die russische Bodenreform vom Jahre 1917 die Aufsplitterung der großen Besitze in kleine Grundstücke. Aber die großen preußischen Domänen waren m o-dernste Getreide- und Kartoffel-f a b r i k e n. Sie zu zersplittern, würde eine Herabsetzung der Kapazität bedeuten; und es sind keine Unterbringungsmöglichkeiten für Kleinhäusler vorhanden. Die christlichen Demokraten unterstützen aus Gründen des Parteiprogramms die kleinen Besitze und

• treten dafür ein, die Bodenreform zu verzögern und stufenweise auszuführen. Die Sozialdemokraten sind dafür eingenommen, die meisten großen Besitzungen in landwirtschaftliche Genossenschaften umzuwandeln. Die Kommunisten treten für die sofortige Aufteilung der Besitze ein, ohne Rücksicht auf die darauf entstehenden Folgen. Abschließend stellt das englische Blatt fest, daß die Neuverteilung des Bodens, ganz gleich wie sie, durchgeführt werden wird, einen tiefen Einschnitt in der deutschen Sozialgeschichte bedeuten wird. Denn was jetzt in sozialer Hinsicht aufgesplittert werde, sei das Gebiet, das die Hochburg des Hohenzollern-Reiches war und das sich in der Zeit der Weimarer Republik durch Hindenburg als Totengräber dieser Republik wieder aufrichtete.

Zusammen mit der Bodenreform wurde in den letzten Monaten die Verstaat-lichungderlndustrieinThürin-g e n und Sachsen vorbereitet. Der Umfang der Verstaatlichung ist aber vorläufig noch nicht festgelegt. All diese Reformen, so schließen die Betrachtungen des „Eco-nomist“, stellen einen tiefgreifenden und wahrscheinlich bleibenden sozialen Umbruch dar. Wie lange immer die russische Besetzung dauern möge, sie hat sich bereits tief in die deutsche soziale Struktur eingegraben, und zwar derart, daß sie auch außerhalb der russischen Zone nicht leicht ignoriert werden kann.

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