"Es geht um die Qualität des Überlebens"

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Unter ihrer Leitung verhalf ein 17-köpfiges Team im März 2000 Bombenopfer Theo Kelz zu zwei neuen Händen: Die Plastische und Wiederherstellungs-Chirurgin Hildegunde Piza wurde vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zur Wissenschafterin des Jahres gewählt.

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Unter ihrer Leitung verhalf ein 17-köpfiges Team im März 2000 Bombenopfer Theo Kelz zu zwei neuen Händen: Die Plastische und Wiederherstellungs-Chirurgin Hildegunde Piza wurde vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zur Wissenschafterin des Jahres gewählt.

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die furche: Sie sind als erste Frau zur Wissenschafterin des Jahres gekürt worden und stehen an der Spitze der Österreichischen Gesellschaft für Chirurgie, ein Fach, das als Männerdomäne gilt. Hat sich Ihr Frausein beruflich je als Nachteil erwiesen?

Hildegunde Piza: Nein. In der Plastischen Chirurgie gibt es ja - im Vergleich zur Orthopädie oder anderen chirurgischen Fächern - relativ viele Frauen: mindestens ein Drittel.

die furche: Was fasziniert Sie an der Plastischen Chirurgie?

Piza: Dass man etwas wiederherstellen kann, eine Funktion oder Körperkonturen. Seit ich in diesem Fach bin, also seit 30 Jahren, hat sich aber Entscheidendes geändert, sowohl in der Technik als auch in der Auffassung. Früher hat man gesagt: Sind Sie froh, dass Sie überlebt haben. Jetzt geht es um die Qualität des Überlebens. Wie körperbewusst ist etwa jemand, der schwer verunfallt ist und dem das halbe Gesicht fehlt?

die furche: In der Plastischen Chirurgie spielt neben der Funktion natürlich die Ästhetik eine große Rolle. Wann ist für Sie ein Mensch schön?

Piza: Zum Begriff Schönheit gehört die Harmonie eines Menschen. Das äußert sich im Blick, im Gehen, in einer gewissen Ruhe. Harmonie ist aber etwas anderes als Symmetrie. Eine Gesichtshälfte, die völlig der anderen gleicht, wirkt fad. Auch Brüste oder Extremitäten sind nie gleich.

die furche: Mit der Handtransplantation an Theo Kelz im März vergangenen Jahres haben Sie Schlagzeilen gemacht und gemeint, er sei der richtige Patient zur richtigen Zeit gewesen. Warum?

Piza: Weil er gut vorbereitet und motiviert war und eine geraume Zeit darum gekämpft hat, seinen Traum zu erfüllen. Und weil er beide Hände verloren hat und völlig hilflos war.

die furche: Stehen Sie mit Theo Kelz in regelmäßigem Kontakt?

Piza: Ja freilich. Erst gestern haben wir miteinander gesprochen. Es geht ihm gut.

die furche: Erst jüngst hat sich der Neuseeländer Clint Hallam, dem als erster Mensch in Lyon eine fremde Hand verpflanzt wurde, wieder zur Amputation entschlossen und gemeint, sein Körper und Geist lehnten den Körperteil ab. Was ist bei Kelz besser gelaufen?

Piza: Man sollte nicht unterschätzen, dass bei einem Einhandtransplantierten das Gehirn überwiegt, das die gute Hand dirigiert. Einhandtransplantierte verwenden die neue Hand nicht so intensiv. Wenn aber jemand beide Hände verloren hat, muss er üben.

die furche: Sind auch Transplantationen von Beinen möglich?

Piza: Zur Zeit sicher nicht. Die Beine haben eine ganz andere Funktion als die Hand, sie haben eine statische Funktion. Auch die Wiederherstellung eines Beinnervs dauert wesentlich länger und ist nicht so zu trainieren wie die Nerven an der Hand.

die furche: Sehen Sie wie der Psychologe des Neuseeländischen Patienten in der Transplantation die Gefahr der Entpersonalisierung?

Piza: Nein: Wenn der Patient den Eingriff positiv sieht, wird er nie daran denken, dass er mit den Händen eines Toten lebt. Wenn er akzeptiert, dass ihm geholfen wird, auch unter Zuhilfenahme eines anderen, dann kann er sie voll integrieren. Das ist bei Herrn Kelz passiert.

die furche: Der Innsbrucker Herzchirurg Ludwig Müller bezeichnet die nach Transplantationen verabreichten Medikamenten zur Immunsuppression als solche, "die jeder gesunde Mensch als Gift ablehnen würde." Kann man irgendwann darauf verzichten?

Piza: Ich hoffe schon. Die Medikamente sind innerhalb von zehn Jahren stark verfeinert worden, und wenn jemand gut eingestellt ist, braucht man relativ wenig. Trotzdem wäre es besser, wenn man nichts nehmen müsste.

die furche: Manche meinen, bei der Handtransplantation des Herrn Kelz sei die rechtliche Situation unklar gewesen, da im Gesetz von 1982 nur die Transplantation von Organen geregelt werde, nicht jene von Gliedmaßen.

Piza: Das stimmt nicht. In diesem Gesetz ist überhaupt kein Wort darüber geschrieben, dass keine Extremitäten transplantiert werden dürfen. Es steht nur, dass die Totenruhe bzw. die Integrität des Toten gewahrt werden muss. In unserem Fall hat der Tote Prothesen bekommen.

die furche: Die österreichische Widerspruchslösung bei Transplantationen ist nicht unumstritten.

Piza: Es beneiden uns sehr viele um das Transplantationsgesetz, weil es ausgeklügelt und sehr vernünftig ist. Wenn jemand sagt, ich gebe nichts her, dann wird das akzeptiert. Aber man muss selbst einmal in der Situation stecken und eine Niere oder Leber brauchen.

die furche: Sie planen ein Labor an der Universität Innsbruck, in dem Gewebe gezüchtet werden sollen.

Piza: Wir brauchen Gewebe aller Art, damit wir nach Defekten wiederherstellen können. Der Hautersatz ist grundsätzlich gelöst. Auch bei großflächigen Verbrennungen kann geholfen werden. Es dauert ungefähr drei Wochen, um das Gewebe wachsen zu lassen. Und inzwischen gibt es artifizielle Dermis-Transplantate.

die furche: Wie stehen sie der Züchtung embryonaler Stammzellen gegenüber?

Piza: Man erhofft von ihnen sehr viel und wird wahrscheinlich auch rasch weiterkommen. Aber wir brauchen nicht hochdifferenziertes Gewebe, sondern einfach nur Grundgewebe, also Vorstufen der einzelnen Bindegewebszellen. Und die können wir auch so züchten.

die furche: Die Zahl der Brustkrebserkrankungen ist hoch. Wie oft kann die Brust erhalten werden?

Piza: Schon jetzt werden mehr als 70 Prozent der Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind, nicht mehr radikal operiert, weil es Therapiemöglichkeiten wie Chemotherapie oder Röntgenbestrahlung gibt. Doch wenn die ganze Brust abgenommen werden muss, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man stellt sie beim selben Eingriff her oder nach Abklären des Tumorstadiums nach einem Jahr. Das Gewebe nimmt man meist vom Rücken oder aus dem Bauch.

die furche: Die Zahl der Schönheitsoperationen steigt stark an. Lehnen Sie auch Eingriffe ab?

Piza: Bei einer 24-Jährigen, die ein wenig übernachtet ist, würde ich ein Minifacelift radikal ablehnen. Auch wenn eine 25-Jährige etwas zu viel Fett um den Po hat und Sport betreiben kann, lehne ich ab. Als Arzt kann man schon Einfluss nehmen. Doch ich sage den Patienten auch: Sie werden jemand anderen finden, der es tut. Aber vielleicht überlegen Sie sich, dass es besser wäre zu warten.

die furche: Würden Sie sich selbst einer Schönheitsoperation unterziehen?

Piza: Das weiß ich nicht. Ich bin nicht zufrieden, aber ich kann mir auch vorstellen, dass man etwas ändern kann.

die furche: Ihr Beruf stellt Sie unter enormen Erfolgsdruck. Wie gehen Sie mit Misserfolg um?

Piza: Das ist immer schmerzlich, für den Arzt nicht minder als für den Patienten, aber man soll daraus lernen. Man setzt sich ja nach keinem Misserfolg einfach hin und weint, sondern muss die Vorgänge analysieren.

die furche: Die heimische Wissenschaft klagt über Nachwuchsmangel und zu wenig finanzielle Unterstützung. Wie ließe sich das Niveau heben?

Piza: Die österreichische Forschung ist nicht so schlecht wie sie dasteht. Man sollte aber endlich damit aufhören, Forschung zu lenken und den Staat vorschreiben zu lassen, wieviel in einer gewissen Arbeitszeit geforscht werden darf. Deshalb gehen ja alle nach Amerika, weil sie dort von morgens bis abends sitzen und bei einem angenehmen Abendessen nochmals über ihr Forschungsprojekt diskutieren können. Es gibt genug Sponsoren, die froh wären, wenn sie helfen könnten. Aber es schaut halt nichts raus, wenn man die Arbeitszeit strikt terminisiert.

die furche: Sie sind selbst Tochter eines Chirurgen und mit einem Chirurgen verheiratet. Würden Sie ihren drei Kindern in Zeiten der Ärzteschwemme raten, Medizin zu studieren?

Piza: Nein, es ist ja auch kein Kind Medizinerin oder Mediziner geworden. Sie haben gesehen, was rauskommt, wenn man mit tausenden im ersten Semester anfängt. Das ist nicht lustig.

die furche: Würden Sie selbst noch einmal ein Medizinstudium beginnen?

Piza: Natürlich.

Das Gespräch führte Doris Helmberger Ich bin davon überzeugt, dass bei einem Einhänder mit einer guten Hand das Gehirn überwiegt, das die gute Hand dirigiert. Das sollte man nicht unterschätzen: Die Einhandtransplantierten verwenden die neue Hand nicht so intensiv. Wenn aber jemand beide Hände verloren hat, dann muss er einfach üben.

Sind auch Transplantation von Beinen möglich?

Zur Zeit sicher nicht. Die Beine haben eine ganz andere Funktion als die Hand, sie haben statische Funktion. Wenn sie in transplantierten Beinen eine Zeit lang kein Gefühl haben, dann bekommen sie auf Grund von Druckgeschwüren offene Beine. Auch die Wiederherstellung eines Beinnervs dauert auf Grund der Länge wesentlich länger und ist nicht so zu trainieren wie die Nerven an der Hand.

Es gibt regelrechte Horrorszenarien, wonach irgendwann der Kopf auf einen völlig neuen Leib verpflanzt werden könnte.

Nichts ist unmöglich, aber wer einmal ein Rückenmark angeschaut hat, der kann sich nicht vorstellen, dass es in absehbarer Zeit möglich sein könnte, so etwas zu transplantieren.

Sehen Sie wie der Psychologe des Neuseeländischen Patienten, Gabriel Burloux, in der Transplantation auch die Gefahr der Entpersonalisierung?

Nein, ganz im Gegenteil: Wenn der Patient den Eingriff positiv sieht, wird er nie daran denken, dass er mit den Händen eines Toten lebt. Wenn er akzeptiert, dass ihm geholfen wird, auch unter Zuhilfenahme eines anderen, dann kann er sie voll integrieren. Und das ist beim Herrn Kelz passiert.

Der Innsbrucker Herzchirurg Ludwig Müller bezeichnet die nach Transplantationen notwendigen Immunsuppressionen als "Medikamente, die jeder gesunde Mensch als Gift ablehnen würde." Kann in nächster Zukunft auf solche Medikamente verzichtet werden?

Das hoffe ich schon. Erstens sind die Medikamente innerhalb von zehn Jahren stark verfeinert worden. Es sind neue Ansätze gefunden worden und wenn jemand wirklich gut eingestellt ist, braucht man relativ wenig. Trotzdem gebe ich zu, dass es besser wäre, wenn man nichts nehmen müsste. Aber ich hoffe, dass dieses Problem einmal gelöst wird. Wie, kann ich noch nicht sagen.

Manche meinen, bei der Handtransplantation des Herrn Kelz war die rechtliche Situation unklar, da im Transplantationsgesetz von 1982 nur die Transplantation von Organen und Organteilen geregelt werde, nicht jene von ganzen Gliedmaßen.

Das stimmt nicht. In diesem Gesetz ist überhaupt kein Wort darüber geschrieben, dass keine Extremitäten transplantiert werden dürfen. Es steht nur, dass die Totenruhe bzw. die Integrität des Toten gewahrt werden muss. In unserem Fall hat der Tote Prothesen bekommen.

Soll generell bei Transplantationen die österreichische Widerspruchslösung beibehalten werden, wonach sich ein Patient dezidiert gegen eine Organentnahme aussprechen muss?

Es beneiden uns sehr viele um das Transplantationsgesetz, weil es ausgeklügelt und sehr vernünftig ist. Wenn jemand sagt, ich gebe nichts her, dann wird das akzeptiert. Aber man muss selbst einmal in der Situation stecken und eine Niere oder Leber brauchen für sein Kind.

Sie planen ein Labor an der Uni Innsbruck, in dem Gewebe gezüchtet werden soll. Was genau wird anvisiert?

Wir brauchen Gewebe aller Art, damit wir Defekte wiederherstellen können. Da wird in den nächsten Jahren sicher einiges möglich sein. Der Hautersatz ist grundsätzlich gelöst. Wenn jemand großflächige Verbrennungen hat, kann ihm geholfen werden. Es dauert ungefähr drei Wochen, wenn man das wachsen lässt. Und inzwischen gibt es artifizielle Dermis-Transplantate.

Wie stehen sie der Züchtung embryonaler Stammzellen gegenüber? Können adulte Stammzellen einen adäquaten Ersatz bieten?

Man hofft von den Stammzellen sehr viel und wird hier wahrscheinlich auch rasch weiterkommen. Aber wir brauchen ja nicht hochdifferenziertes Gewebe, sondern einfach nur Grundgewebe, also Vorstufen der einzelnen Bindegewebszellen. Und die können wir auch so züchten.

Sehen Sie bei der Züchtung embryonaler Stammzellen ethische Probleme?

Man muss sich sicher noch gut überlegen, von welche Embryo man das nimmt. Für bloßes Züchten ist das ein bisschen zu gefährlich.

Zur Person: Medizin mit der Muttermilch Spätestens durch jene 17 Stunden dauernde Operation am 7. März 2000, bei der Piza gemeinsam mit den Chirurgenkollegen Sigurd Pechlaner und Raimund Margreiter dem Bombenopfer Theo Kelz als Österreich-Premiere in Innsbruck erfolgreich zwei fremde Hände transplantiert hatte, wurde sie auch der breiten Öffentlichkeit bekannt. 1941 in Gröbming (Steiermark) als Tochter eines Chirurgen und einer Operationsschwester geboren, studierte Hildegunde Piza Medizin an der Universität Graz. Nach ihrer Facharztausbildung für Chirurgie und Plastische Chirurgie in Salzburg und Wien war sie von 1976 bis 1992 Oberärztin an der I. Universitätsklinik in Wien. Danach übernahm Piza die Abteilung für Plastische und Wiederherstellungschirurgie am Krankenhaus Lainz. Seit 1995 leitet sie das Ludwig-Boltzmann-Institut für Qualitätssicherung in der Plastischen Chirurgie. 1999 schließlich übernahm sie den Vorstand der Universitätsklinik für Plastische und Wiederherstellungschirurgie in Innsbruck und wurde 2000 Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Chirurgie. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen auf der Mikrochirurgie, der Lappenplastik, der Anwendbarkeit des Darmes in der Plastischen Chirurgie und der interdisziplinären Zusammenarbeit. Piza ist mit einem Chirurgen verheiratet und Mutter dreier Kinder.

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