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Anlässlich der Neuerscheinung des dreibändigen Österreich-Lexikons sprach die furche mit dem Herausgeber Ernst Bruckmüller.

Die Furche: Das neue Österreich-Lexikon greift auf die Ausgabe von 1995 zurück - was ist denn nun neu an diesem Lexikon?

Ernst Bruckmüller: Neu ist, dass jede Gemeinde Österreichs aufgenommen wurde. Zudem wurde der Bereich der Biologie, vor allem der Flora, sehr gründlich überarbeitet. Außerdem wurde das Personenlexikon eingearbeitet, das im Jahr 2001 erschienen ist. Die historischen Artikel, auch die Länderartikel habe ich stark überarbeitet bis neu geschrieben. So gibt es schon einige Novitäten, hoffe ich.

Die Furche: Und was findet sich in diesem Lexikon, was man in anderen großen Lexika, etwa im Brockhaus, erfolglos sucht?

Bruckmüller: Zu allererst natürlich eben die Gemeinden, aber auch die vielen Personen - nur ein Bruchteil davon wird auch in den großen internationalen Lexika vorkommen -, auch viele Details der Verwaltung, des Rechts. In der Regel bieten die Lexika das deutsche Beispiel und verweisen nur knapp auf Österreich, auf die Schweiz.

Die Furche: 7500 bedeutende Personen wurden aufgenommen, schreiben Sie im Vorwort. Wer definiert denn die Bedeutung - kommt es vor, dass sich Leute beschweren, weil sie sich auf diesen Seiten nicht finden?

Bruckmüller: Natürlich gibt es immer Leute, die sich darüber ärgern, dass sie nicht drin sind, weil man auch immer jemanden übersieht. Auf jeden Fall müssten alle Mitglieder der obersten Organe, Regierende, Abgeordnete, Promis aus Politik, Kultur und Wirtschaft vorkommen. Nun versuchen wir aber auch historisch zumindest bis ins Mittelalter zurückzugehen, da kommt es in der Tat dazu, dass nach wie vor Leute fehlen. Da gibt es auch Zufälligkeiten, das muss man offen zugeben, da ist die Auswahl nicht so zwingend, wie man sich das vielleicht vorstellt.

Die Furche: Und die Beschränkung auf österreichspezifische Themen - die ist ja doch auch nicht so leicht?

Bruckmüller: Wir haben viele Diskussionen darüber geführt ... So war Friedrich von Schlegel sehr lange in Wien, hat hier geschrieben und viel getrunken und gegessen, ich hätte dafür plädiert, dass wir ihn für die Zeit seiner Wiener Wirksamkeit hereinnehmen - unser Germanist hat allerdings gemeint, dass er für Österreich eher nicht in Frage kommt ... Beethoven wiederum haben wir natürlich übernommen. Es muss von Fall zu Fall diskutiert werden. Natürlich stellt sich auch die Frage, ob man bedeutende Ungarn, Tschechen, Polen, Slowenen, Kroaten etc. mit aufnimmt. Wir haben so entschieden: Wenn diese Leute Bedeutung in Hinblick auf die gesamtösterreichische Geschichte und damit auch auf das heutige Gebiet von Österreich haben, sollten sie aufgenommen sein. Wenn es eine - wenn auch wichtige - lokale Bedeutung war, dann sind sie nicht aufgenommen worden.

Die Furche: Ein solches Projekt muss ja eine enorme Anzahl von Personen sehr lange beschäftigt haben ...

Bruckmüller: Dazu ist es nötig, um die Vorgeschichte zu wissen: das zweibändige Lexikon, der Vorgänger, entstand in Zusammenhang mit einer Internetversion. Diese lief unter "aeiou", und ihr Zentralbereich war das Österreich-Lexikon. Diese Internetversion wurde natürlich betreut, finanziert vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur und durch Forschungsprojekte. Das Lexikon wurde immer aktuell gehalten. Das war für die Erstellung des Buch-Lexikons von großer Bedeutung, denn wir kamen im Vergleich zu anderen Lexika mit einem sehr kleinen Stab aus. Seit heuer wird nichts mehr vom Ministerium bezahlt und die Internetversion wird mit Jahresende vom Netz gehen. Sie ist jetzt schon veraltet, da sie nicht betreut werden kann. Das ist natürlich auch in Bezug auf künftige Projekte sehr schlecht. Zudem wurde die Internetversion auch international massiv nachgefragt.

Die Furche: Wie soll es nun also weitergehen?

Bruckmüller: Mein Wunsch wäre, dass es irgendwann einmal so etwas wie eine Nationalenzyklopädie gäbe, neben dem Lexikon. Das wäre gar nicht so schwierig. Wenn man das dreibändige Lexikon wieder als Internetversion 10 Jahre lang betreuen würde, dann hat man durch die laufenden Ergänzungen in 10 Jahren ohnehin zwei weitere Bände geschaffen. Auch die erste Ausgabe des Lexikons sollte beigezogen und bestimmte Kategorien systematisch durchforscht werden - dann hätte man in 10 Jahren eine wunderbare nationale Enzyklopädie mit 10 Bänden. Ein solches Projekt müsste dann allerdings auch eine wissenschaftliche Institution tragen wie etwa die Österreichische Akademie der Wissenschaften.

Die Furche: Das wäre ein Projekt für das nächste Jubiläumsjahr, 2015.

Bruckmüller: Ja, das wäre ein Projekt für das nächste Jubiläum. Eine Erinnerungskultur muss schon sein, es gibt sie in Österreich leider nicht. Man kann sich zwar lustig machen über die "komischen Feiern", aber man darf nicht vergessen, ein Volk existiert nur, insofern es sich selbst erinnert. Ohne diese Vergangenheit gibt es keine Zukunft. Die Erinnerung, dass man so etwas wie eine gemeinsame Vergangenheit hat, ist auch eine mentale Basis für die Zukunft. Der Mensch könnte ja nicht denken ohne Geschichte. schon unsere Sprache, unsere Vorstellungen sind von gestern, wenn nicht von vorgestern. Man kann die Vergangenheit nicht auslassen, man muss sie bewusst machen, um bewusst zu machen, was man als Gepäck mitträgt. Dieses Gepäck ist ja nicht nur Ballast, sondern auch unser Handwerkszeug.

Das Gespräch führte

Brigitte Schwens-Harrant.

Österreich-Lexikon

Hg. v. Ernst Bruckmüller. Brandstätter Verlag, Wien 2004. 1815 Seiten m. 2500 Abb. 3 Bde., geb., e 112,10

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