flug 93 - © UPI

"The Road to Guantánamo" und "Flug 93": Das Kino entdeckt 9/11 und die Folgen

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Zwei exemplarische Filme: Michael Winterbottoms legitime Agitation "Road to Guantánamo", Paul Greengrass' legitime Rekonstruktion "Flug 93".

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Zwei exemplarische Filme: Michael Winterbottoms legitime Agitation "Road to Guantánamo", Paul Greengrass' legitime Rekonstruktion "Flug 93".

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Die Ereignisse von 9/11 und die Folgen haben natürlich auch die künstlerische Auseinandersetzung provoziert. Interessanterweise hinkte - im Vergleich zu Literatur oder auch bildender Kunst - der Film, besser gesagt: das Mainstream-Kino hinterher. Erst fast fünf Jahre nach den Anschlägen von New York und Washington nimmt sich auch Hollywood - spät aber doch - der filmischen Aufarbeitung des Traumas an, das die USA so schwer wie nichts seit dem Überfall auf Pearl Harbor 1943 erschüttert hat. Regie-Star Oliver Stone stellt etwa zur Zeit den Streifen "World Trade Center" fertig, der Ende Sommer in die Kinos kommt.

Dieser Tage laufen hierzulande zwei Streifen in diesem Themenkomplex an, die paradigmatisch für zwei Auseinandersetzungsweisen stehen, und die unterschiedlicher nicht sein könnten: Hollywood bringt mit "Flug 93 - United 93" die Filmversion des vierten am 11. September 2001 entführten Flugzeugs auf die Leinwand. Und der britische Regisseur Michael Winterbottom nimmt sich in seinem Dokudrama "Road to Guantánamo" einer der hässlichsten Fratzen der US-Politik an: der Zustände im Gefangenenlager Guantánamo.

Fratze der "freien" Welt

Es gehört zweifelsohne zum politischen Anstand, den Umgang mit Menschen und Menschenrechten rund um den US-Militärstützpunkt auf Kuba scharf zu kritisieren: Bald fünf Jahre sitzen dort schon Gefangene ein, aufgrund zweifelhafter Beweislage interniert, ohne elementarste Verteidigungsrechte, ohne Verfahren, bis heute auch weitgehend ohne Erkenntnisse zu den Vorwürfen, derentwegen angebliche Al-Kaida-Sympathisanten festgehalten werden. Auch die Furche berichtete über den Fall von Murat Kurnaz aus Bremen, der bis heute in Guantánamo eingesperrt ist (siehe auch Seite 3).

Was in der Dürre von Nachrichtensendungen oder Zeitungsartikeln intellektuell erfasst wird, wird im Film auch auf einer emotionaleren Ebene ausgebreitet: Auf solcher Ebene versuchen Michael Winterbottom und sein Ko-Regisseur Mat Whitecross das Martyrium von vier jungen Muslimen aus der mittelenglischen Stadt Tipton nachzuzeichnen, von denen drei in Guantánamo landen: Die jungen Leute fahren nach Pakistan, um an einer arrangierten Hochzeit von einem von ihnen teilzunehmen. Sie machen, von einem Prediger dazu animiert, einen Abstecher nach Afghanistan und geraten dort in die Kriegswirren zwischen US-Bombardements und Taliban-Kämpfern. Drei von den vieren geraten in US-Gefangenschaft, obwohl sie nichts mit den Kämpfen zu tun haben. Vierschrötige Marines verhören die drei, teilweise mit Methoden, die jeder Anti-Folterkonvention Hohn sprechen.

Dann werden sie nach Guantánamo verbracht - auch dort Verhöre unter unzulässigen, unmenschlichen Bedingungen. Es wird ihnen Beteiligung an terroristischen Aktivitäten vorgeworfen, obwohl sie klare Alibis haben. Dass ihnen eine adäquate Rechtsvertretung verweigert wird, ist da nur noch der Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen bringt. 2002 sind die drei in Guantánamo angekommen - und so unwirklich wie die Verschleppung dorthin, geschieht ihre Freilassung 2004: Nichts war ihnen nachzuweisen, also bringt man sie nach England zurück und lässt sie laufen ...

Hybrid aus Fakten und Fiktion

"Road to Guantánamo" ist keine Dokumentation, sondern ein Hybrid aus Fakten und fiktiver Rekonstruktion. Winterbottom schneidet Interviews der drei Protagonisten, Archivaufnahmen und nachgestellte Szenen, in denen die drei von jungen, unbekannten Schauspielern dargestellt werden, zusammen: Ein kunstvoll verwobenes Plädoyer wider den Wahnsinn eines Unrechtssystems, als das sich die USA (in Komplizenschaft mit den Briten) hier erweisen. Ein parteilicher Film, der aufrüttelt und klarmacht, wie dieses System über Werte hinweggeht, für die der Westen im Allgemeinen und die USA im Besonderen stehen. Filmemachen in der Tradition eines Michael Moore, der den parteilichen Dokumentarfilm zu einer großen Blüte entwickelt hat. Winterbottom hat dafür in Berlin heuer den Silbernen Bären für die beste Regie eingefahren.

Es gibt allerdings gravierende Einwände gegen diese Art umgekehrten embedded journalism: Winterbottom agiert als Anwalt der drei muslimischen Briten, die da gefangen wurden. Der subjektive Blickwinkel liegt auf der Opferseite - die Marines, die britischen und amerikanischen Verhör-Personen sind in diesem Film ganz klar die Täter. Die Geschichten der drei bleiben unhinterfragt. Warum etwa fahren die Protagonisten einen Monat nach 9/11 ausgerechnet nach Afghanistan? Konnten sie so naiv sein? Marines und sonstige Aufpasser, die Vernehmer sind allesamt eher primitiv und mehr oder weniger gesichtslos, brutal. Die Frage, welche Menschen hinter den Peinigungen stehen, spart der Film aus.

Man mag diese Schwarzweiß-Malerei kritisieren; dennoch scheint "Road to Guantánamo" eine logische Antwort auf die schwarzweiße Regierungspropaganda von Bush, Rumsfeld & Co. Das Schreckliche, das dieser Film darstellt, soll und muss jedenfalls zum Diskurs wider die Foltermethoden in der angeblichen freien Welt beitragen. In jener Woche, in der George Bush und Tony Blair einräumten, dass rund um den Irakkrieg schwere Fehler gemacht wurden und dabei explizit die Vorfälle in Abu Ghraib ansprachen, kommt Michael Winterbottoms Anklage gerade richtig: Guantánamo ist neben dem Bagdader Gefängnis das zweite Fanal des Unrechts, und solcher Film mag dazu beitragen, gegen dieses anzugehen.

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