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Bei einem „Proletarsozialisten”

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Die Alchimie des italienischen Sozialismus läßt sich ganz gut in Gleichungen ausdrücken. Aus der Synthese der Sozialistischen Partei mit der Proletarischen Einheitsbewegung ist 1943 die Proletarische Sozialistische Einheitspartei hervorgegangen: PSI+MUP=PSIUP. 1946 •kam dann die Abspaltung der Sozialdemokraten Saragats: PSIUP— PSI+PSLI (später PSDI). Die jüngste Spaltung, im vergangenen November, vollzog sich nach der Gleichung: PSI= psi+psdup. Die Minuskel bedeuten, daß es den politischen Forschern noch nicht gelungen ist, das Molekulargewicht der neuen verkleinerten Sozialistenpartei und der „Proletarsozialisten” festzustellen, wie die Leute vom PSIUP jetzt genannt werden.

Protest gegen die „linke Mitte”

Die Loslösung der radikalen Gruppe des Abgeordneten Tullio Vecchietti ist als Protest gegen den Kongreßbeschluß erfolgt, sich an einer Regierung der linken Mitte zu beteiligen. Der Gegensatz zu Pietro Nenni reicht jedoch weiter zurück, zumindest bis 1956, als sich Nenni mit Saragat im savoyischen Pralog- nan traf, um sich über den Weg zur Wiedervereinigung des italienischen Sozialismus auszusprechen. Da dieser Weg von den Kommunisten wegführte, kam es 1957 auf dem Kongreß in Venedig zum offenen Konflikt zwischen dem alten Parteiführer und dem linken Flügel der „carristi”, so genannt, weil sie die Intervention der sowjetischen Panzer, „carri armati”, in der ungarischen Erhebung bedingungslos gutgeheißen hatten.

Den einstigen Exponenten der „carristi” und heutigen Sekretär des PSIUP, Tullio Vecchietti, habe ich in den neuen Parteilokalen in der Via della Vite, ein paar Schritte von der zentralen Piazza S. Silvestro entfernt, aufgesucht, um die Meinung jenes Mannes zur italienischen Situation zu hören, von dem man sagt, daß er „weiter links als To- gliatti” steht und den Linksradikalismus überhaupt verkörpert. Ich habe einen Mann kennengelernt, der seiner äußeren Erscheinung nach den Typ des wohlmeinenden römischen Bürgers verkörpert, mit gelassenen, fast indolenten Bewegungen, einer sanft dahinfließenden Rede ohne Höhen und Tiefen, mit einem gemütlichen Akzent von Ro- manesco in der Sprache. Er macht den Eindruck eines Mittelschullehrers, und da er einmal ein schöner Mann gewesen sein muß, von den etwas vollen Lippen abgesehen, und immer noch stattlich aussieht, wird er sicherlich von seinen Schülerinnen angeschwfirmt worden sein. Das hier hinzusetzen ist eigentlich unfair, nachdem man erfahren hat, daß Tullio Vecchietti vor 50 Jahren in der römischen Altstadt geboren wurde, unweit des Palazzo, wo Papst Pius XII. das Licht der Welt erblickt hat Der Bürgerschreck entstammt dem allerbürgerlichsten Milieu, sein Vater war Gerichtsbeamter, und seine Laufbahn die eines Intellektuellen: Professor für Geschichte und Philosophie, Verfasser einiger historischer Werke über die französische Revolution und jüngere italienische Geschichte.

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