"In ihre Menschentaubheit hinein"

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Engel senden "fremde Signale", wenn sie mit Menschen kommunizieren. Katharina Faber lässt drei Schutzengel erzählen.

Alle reden durcheinander und aus diesem Durcheinander entsteht allmählich die Geschichte. Ali will die Figuren erzählen lassen und selber nichts dazu sagen. Das ist pure Feigheit, sie tut, als sei sie nicht da, dabei ist sie es, die die Stimmen zusammenfließen lässt, so dass man nie genau weiß, wer spricht."

Jene der Feigheit bezichtigte Ali ist Katharina Faber (geb. 1952), die in ihrem jüngsten Buch den ungewöhnlichen Versuch unternimmt, ihre eigene Lebensgeschichte aus Sicht ihrer drei persönlichen Schutzengel erzählen zu lassen. Ein gewagtes Unterfangen, das - ganz unabhängig davon, wie man selbst zur Frage der Existenz jener Geistwesen steht - leicht auch in peinlichen Kitsch abgleiten könnte. Doch wie schon in ihrem ersten Roman "Manchmal sehe ich am Himmel einen endlos weiten Strand" (2002), der mit dem Rauriser Literaturpreis für die beste Prosa-Erstveröffentlichung in deutscher Sprache ausgezeichnet wurde, besticht die Autorin durch jenes erzähltechnische Raffinement, ihre Geschichte unvermittelt aus einem mehrstimmigen Dialog hervortreten zu lassen, wobei sich die Figuren mitunter korrigierend ins Wort fallen und ein und dasselbe Ereignis oft ganz unterschiedlich darstellen.

Michail, Linette und Boris begleiten Alis/Katharinas Leben von der Geburt bis in die Gegenwart und erzählen in diesem Album weit mehr über sich selbst als über ihre Schutzbefohlene, deren Innensicht im Text ausgespart bleibt. Dies kann man als Mangel ansehen oder aber als geschickten Kunstgriff, jene durch die subjektive Autorenposition autobiografischen Texten eigenen Harmonisierungstendenzen weitgehend zu eliminieren. So erfährt man Alis Lebensgeschichte nur punktuell, entscheidende Ereignisse werden gar nicht oder nur beiläufig erwähnt, während scheinbare Randepisoden breiten Raum einnehmen.

Abgebrochene Leben

Was ihre drei Beschützer eint, ist deren abgebrochenes Leben: der Tod im Jugendalter. Michail, geboren in Moskau, ist 17-jährig im Kampf gegen Hitler-Deutschland gefallen, Linette starb bereits 1786 mit 16 Jahren an einer Hirnhautentzündung und Boris, der jüngste, starb ein Jahr vor Katharinas Geburt erst 13-jährig an Lymphdrüsen-Krebs in New York. Drei völlig unterschiedliche Charaktere, die nicht nur mit der verträumten Ali, die sich wie in Trance durchs Leben bewegt, ihre liebe Not haben, denn Michail und Boris begleiten zudem ihre noch lebenden Familienangehörigen.

Ali ist gegenüber den Toten privilegiert, sie hat alle Möglichkeiten, die den dreien zu Lebzeiten aus unterschiedlichen Gründen verwehrt waren; sie kennt weder materielle Not noch die Zwänge eines Gewaltregimes, sie darf die Liebe erfahren. "So leben sie jetzt, die Glücklichen, Heutigen, Freien … Sie teilen fast nichts mehr mit uns. Nur die Angst, einander zu verlieren." Dass sich Leid und Elend an anderen Orten der Welt zusammenballen, bleibt den dreien freilich nicht verborgen.

"Fremde Signale"

Nicht alles ist an diesem Buch gelungen. Die individuelle Sprache der drei Beschützer hätte vielleicht differenzierter ausfallen können, Linette etwa drückt sich für ein Mädchen, das sein Lebtag arbeiten musste und nie eine Schule besucht hat, oft zu gewählt aus, doch sind dies nur kleine Mängel.

Am berührendsten ist wahrscheinlich Boris' Geschichte, er ist es auch, der nicht zuletzt aufgrund seiner ausgeprägten literarischen Ambitionen Ali am nächsten steht. Anders als die eigene Mutter wird Ali seiner Gegenwart manchmal ahnungsvoll gewahr, und sei es nur in einem Moment, wo der Computer plötzlich aus unerfindlichen Gründen abstürzt und ein Schatten über den Bildschirm zieht.

"Was wir übermitteln, kommt nicht aus einem Alphabet. Unsere Zeichen gleichen in nichts den Zeichen einer Sprache. Und wenn wir uns an Menschen wenden mit unseren Signalen, so sind es für sie: fremde Signale. Herausgelöst aus dem Zeichennetz der Sprache. In ihre Menschentaubheit hinein."

Fremde Signale

Ein Album von Katharina Faber

Zürich, Bilgerverlag 2008

330 Seiten, geb., € 23,70

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