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Schicksal eines deutschen Juden

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DICHTUNGEN UND SCHRIFTEN. Von Ludwig Strauß. Herausgegeben von Werner Kraft. Geleitwort Ton Martin B u b e r. K „sei-Verlas, München, 1963. 836 Selten. Preis 48 DM.

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DICHTUNGEN UND SCHRIFTEN. Von Ludwig Strauß. Herausgegeben von Werner Kraft. Geleitwort Ton Martin B u b e r. K „sei-Verlas, München, 1963. 836 Selten. Preis 48 DM.

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Der Name Ludwig Strauß wird auch Leuten kaum vertraut sein, die sonst durchaus Bescheid wissen in der deutschen Literaturgeschichte. Das Werk von Strauß steht für ein deutsches Schicksal: der 1892 in Aachen Geborene war 1935 gezwungen, aus seiner Heimat zu emigrieren, kaum da er erste literarische Erfolge aufweisen konnte; vier Jahre vor Hitlers Machtantritt hatte sich Ludwig Strauß als Dozent für deutsche Literatur in Aachen mit einer Arbeit über Hölderlin habilitiert, 1935 ging er als Landarbeiter nach Israel, 1953 ist er gestorben, nachdem er, durch Krankheit genötigt, die letzten Jahre wieder an der Universität gelehrt hatte.

Sein Werk, gleichmäßig über sein ganzes Leben verstreut, besteht aus Lyrik, literarkritischer und erzählender Prosa und Dramen. Als rheinischer Jude in deutscher Tradition zweisprachig aufgewachsen, bildungsmäßig jedoch ganz der deutschen Literatur verhaftet — schon seine Hölderlin-Habilitationsschrift und seine diesem Dichter völlig verpflichteten frühen Verse verraten sein deutsches Bildungsschicksal —, hat er sich schon früh sprachlich und karitativ-pädagogisch des Ost Judentums angenommen. Aber wie sein literarisches Werk immer nur bemüht war, sorgsam die Sprache verwaltend, akademisch rein, gedanklich durchs formt, hat auch das Judentum sein deutsches Werk wesenhaft kaum beeinflußt. Es berührt eigenartig, seine spätere Vernunft- und Existenzheimat Israel in deutschen Versformen besungen zu hören (zu eigenständiger Form fand er über das Bibeldeutsch von Buber-Rosenzweig), ihn bis zuletzt feilend an einem Geschichtsdrama: „Der Hirt von Nickelhusen“. arbeiten zu sehen, das zur Gänze christlicher Denkwelt verpflichtet ist und eine Begebenheit aus den deutschen Bauernkriegen zum Inhalt hat. Alles ist sehr zeitlos gestaltet, aber diese Zeitlosigkeit verrät Wurzel-losigkeit.

Nur in einigen Geschichten, ein wenig in seinen autobiographischen Meditationen „Fahrt und ■ Erfahrung“, werden jüdisches Erbe und das Wissen darum spürbar. In seinem letzten Werk, der Aphorismensammlung „Wintersaat“, einem „Buch in Sätzen“, zieht er behutsam und mit äußerster Verantwortung die Summa eines Lebens, das in dieser Werktragik selten so rein zur Ausformung gelangte. Bei Ludwig Strauß durchdringen einander Tragik des Deutschtums und des Judentums in so verhängnisvoller Weise, daß das Oeuvre dieses Dichters, den seine Zeit werkmäßig kaum spürbar, äußerlich hingegen als Emigranten berührt hat, aus dem Bewußtsein der Gegenwart bereits geschwunden ist.

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