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1918: Strom floß in andere Richtung

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Das Jahr 1918 war für Österreich und die Steiermark nicht nur politisch von entscheidender Bedeutung, sondern stellte auch auf wirtschaftlichem Gebiet, insbesondere dem Energiesektor, die Weichen für die weitere Zukunft. Die Steiermark verlor in diesem Jahr vor allem das für den Grazer Raum und für die Versor» gung Wiens eben erst fertiggestellte Kraftwerk an der Drau bei Fala/Faal. Damit war die Realisierung einert steirischen Verbundwirtschaft wie-jL der auf dem Nullpunkt angelangt. '

Schon vor dem Ersten Weltkrieg konnte die Steiermark mit Pionierleistungen auf dem Stromsektor aufwarten: 1891 nahmen das i,Elek. trische Werk zu Bad Aussee“ und ein Jahr später das erste Mehrphasenwerk der Monarchie am Weizbach den Betrieb auf. Bis knapp nach der Jahrhundertwende folgten Kraftzentralen in allen größeren steirischen Orten.

Zunächst blieb jedoch die Elektrifizierung für diese begrenzten Gebiete allein der lokalen Initiative überlassen, sodaß die Ortsversorgung mit verschiedenen Stromarten und -Spannungen durchgeführt wurde. Trotzdem erlangten die beiden Murkraftwerke Lebring und Peggau zentrale Bedeutung. Lebring, das 1903 in Betrieb gegangen war, versorgte zwei Brauereien und fünf umliegende Gemeinden, Peggau (seit 1908) das ganze Einzugsgebiet von Deutschfeistritz-Peggau. Beide Werke waren von privaten Gesellschaften gegründet und gebaut worden.

Da jedoch beide Kraftwerke ein gegenseitigen Krafthilfe bedurften! schlössen sie sich am/20,. April 1910 zu einer Unternehmung, der Steiermär. kischen Elektrizitätsgesellschaft' (STEG), mit Sitz in Graz, zusammen^ Aufgabe der STEG waren vor allem die „Errichtung und der Betrieb“ von weiteren E-Werken und Wasserkraftanlagen. ' ^MlbBjHtfflfli^.

Noch im November 1912 beschloß die STEG, ein großes E-Werk an der Drau in der Nähe von Maribor/Marburg bei Fala/Faal mit 50.000 PS-Leistung zu errichten. Mit dem Bau wurde noch 1913 begonnen, so daß man bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges, im Sommer 1914, mit 1200 Arbeitern schon drei der vier Flußpfeiler und das Maschinenhaus betoniert hatte.

Erst der Abgang von Arbeitern durch Einberufungen zur Armee bedingte eine mehrmonatige Einstellung der Arbeiten. Schließlich veiv suchte man, mit italienischen Internierten und ab 1916 mit russischen Krigsgefangenen den Bau fortzusetzen. Kurz vor Kriegsende, im Mai 1918, ging das Kraftwerk schließlich in Betrieb.

Insgesamt hatte die STEG bis 1918 über 26 Millionen Kronen in den Kraftwerksbau investiert, die von einem Schweizer Bankenkonsortium aufgenommen wurden.

Die Planungen um das Kraftwerk Faal stellten alles bisher dagewesene in den Schatten. Zunächst suchte die STEG den Strom in die Mittelsteiermark und weiter bis nach Wien zu bekommen, aber auch die umliegenden Orte als Abnehmer zu gewinnen. Als erstes kamen Stromlieferungsverträge mit neun Umgebungsgemeinden und der Stadt Marburg zustande. Auch der Ausbau eines Leitungsnetzes von Faal nach Celje/Cilli .und Bruck/Mur wurde aktuell und noch 1915 genehmigt.

Da die Untersteiermark zu diesem Zeitpunkt ein überwiegend agrarisches Gesamtbild bot, versuchte die STEG auch die Landwirtschaft als Stromabnehmer für das E-Werk in Faal zu gewinnen. Dies war angesichts des Fehlens von elektrischen Motoren bei den Bauern und vor altern der Zuleitungen zunächst nur durch die Förderung einer gezielten Betriebsneugründung ganz in der Nähe des E-Werkes, in Ruse/Rast, also gewissermaßen durch das Hintertürchen, möglich. Noch 1916 wurde in Rast mit dem Bau eines Stickstoffwerkes für die Kunstdüngererzeugung begonnen.

Weiters sah das Elektrifizierungskonzept der STEG.„sofort nach Eintritt des Friedens“ den Bau des Kraftwerkes Mariborski otok/Felber-insel vor. Es wären damit in beiden Draustufen jährlich rund 450 Millionen Kilowattstunden (kWh) erzeugt worden, womit mittelfristig die Stromversorgung großer Gebiete der Steiermark und bis nach Wien gesichert gewesen wäre.

Dazu war 1916 geplant, für jedes der beiden Drauwerke unter Einbindung der STEG-Kraftwerke Lebring und Peggau, eine eigene Stromleitung nach Graz zu legen.

Mit diesen modernen Planungen hatte im innerösterreichischen Räume die Idee einer Verbundwirtschaft erstmals konkrete Formen angenommen.

Kurz noch zur Nachkriegsentwick-Ijjpg von Faal: Mit Jahresbeginn 1919 Würde das E-Werk aus dem STEG-pesitz herausgelöst und in die treuhändische Verwaltung der STEG übergeben. Nach längeren Verhandlungen waren die Schweizer Geldgeber bereit, die Schulden der STEG auf die neuzugründende jugoslawische Kraftwerksgesellschaft zu übertragen. „Das Ausscheiden der STEG erfolgte ohne Gewinn und ohne Verlust“, versuchte man schweizer- und jugoslawischerseits der STEG den Verlust rein bilananäßig vergessen zu machen. Tatsächlich traf der Verlust von Faal die STEG und damit auch die ganze Steiermark entscheidend:

• Die unvergleichlich kleineren Murwerke Lebring und Peggau bedurften dringend einer ausgiebigen Krafthilfe, zu der Faal bestimmt war.

• Die Schwächung des STEG führte u. a. 1921 zur Gründung der Steiri-sehen Wasserkraft und Elektrizi-täts-AG (STEWEAG), die 1924 ihr erstes E-Werk in Arnstein in Betrieb nehmen konnte und die Landesversorgung neu aufzubauen hatte.

• Die Steiermark wurde zu einem Energienotstandsgebiet. Der Jah-res-Gesamterzeugung von rund 200 Millionen kWh stand eine Gesamtnachfrage von rund 600 Millionen kWh gegenüber.

• Besonders schwer betroffen wurde durch den Strommangel nach dem Krieg die steirische Industrie, die 94 Prozent des Strombedarfes benötigte. Großbetriebe wie Böhler hatten große Produktionseinbußen zu verzeichnen.

Zusammenfassend kann daher gesagt werden: Durch die Abtrennung der Untersteiermark wurden die Stromversorgung des Bundeslandes Steiermark entscheidend verschlechtert und seiner leistungsfähigen Industrie enorme Startschwierigkeiten in der neugeschaffenen Republik Österreich bereitet. Auf der anderen Seite erhielt Slowenien das mit österreichischem und Schweizer Kapital errichtete E-Werk Faal zugesprochen. Ein Kraftwerk, das ursprünglich als Basis einer gesamt steirischen Verbundwirtschaft konzipiert worden war, danach aber den Strom für den Aufbau der slowenischen Industrien lieferte und so zum Träger einer gesamt slowenischen Verbundwirtschaft wurde.

(Der Autor ist Assistent am Institut für Geschichte der Universität Graz und befaßt sich vorrangig mit der Wirtschafts-, Sozial- und Zeitgeschichte Österreichs.)

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