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Altenpflegerin

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'Mit der Erfindung eines Staatssekretariats für allgemeine Frauenfragen war Wien als Emanzipations-Pionier eindeutig vorn. Noch viel überraschender war für uns die Tatsache, daß man als Staatssekretär für Frauenfragen auch noch eine Frau genommen, 'hat. Wo doch bis dahin immer der Grundsatz galt: Frauen fragen — Männer antworten.

A ber gut, sollten es halt die Frauen einmal selbst mit sich probieren. Prompt bekamen wir in der Bundesrepublik auch gleich Ministerinnen, deren Kompetenzen man zu einem Mammutressort anreicherte: Familie und Frauen, Jugend und Gesundheit. Volljährige Männer, die nicht Vater und auch sonst gesund sind, fallen da völlig durch das Obsorge-Netz.

Die letzte Familienministerin, Frau Professor Rita Süßmuth, hat jedenfalls so Furore gemacht in diesem Amt, daß schon das Gerücht umging, die forsche Rita sei der einzige Mann in der Bundesregierung. Kohl hat dem immer widersprochen und auf den alten Macho Fritz Zimmermann hingewiesen.

Trotzdem wurde ihm die selbstbewußte Frau Süßmuth so unheimlich, daß er ihr gleich einen unheimlich starken Abgang verschaffte: Sie wurde bekanntlich zur Bundestagspräsidentin gewählt, um die lädierte Reputation des deutschen Parlaments zu retten. So sind wir zu Frauen! Dafür hat Kohl die Damenriege seiner eigenen CDU/CSU-Fraktion kühl und souverän übergangen und sie bis zur Gefahr einer Dauer-V er schnupfung im Regen stehenlassen: wieder hat er eine sogenannte .JSeiteneinsteigerin“ als Familienminister berufen. Das ist an sich nichts Unsittliches, es besagt nur, daß sie nicht die Ochsentour durch sämtliche Parteiinstanzen gemacht hat.

Aber unsere Neue, Frau Professor Ursula Lehr, ist kein politisches Leergut, nur liegt ihre Emanzipationsphase in Frauenfragen schon rund 30 Jahre zurück. Inzwischen hat sie sich als Gerontologin mit Fragen des biologischen Alterns beschäftigt.

Damit liegt sie natürlich in einem Kabinett goldrichtig, in dem der Kanzler selbst noch einer der Jüngsten ist. Als begnadetem Mann des schlichten Denkens ist Helmut Kohl außerdem an Statistiken und Umfragen aufgefallen, daß ihn kaum junge Leute wählen, sondern überwiegend alte und von diesen vor allem die Frauen über 60.

Damit ist das Geheimnis schon enthüllt: Kohl hat nun für seine Altherren-Riege eine wissenschaftliche Altenpflegerin, für die überalterte Bürgerschaft eine Fachfrau als Wahllokomotive und für sich selbst... Na ja, als ,ßn-kel Adenauers“ möchte er natürlich auch bis zum 90. Geburtstag Kanzler bleiben.

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