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Die Börse lebt

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Berichte über die Wiener Aktienbörse unterschieden sich jahrzehntelang nur sprachlich, nicht inhaltlich. Sie reichten von der romantischen Feststellung ,JDorn-röschen schläft weiter” (Finanznachrichten, März 1982) bis zur verzweifelten Frage: „Wer taut die Börse auf?” (Die Industrie, Dezember 1982). Die Umsätze mit Aktien betrugen oft nur ein Fünf-zigstel der Umsätze mit festverzinslichen Wertpapieren (Anleihen, Pfandbriefe).

Der Aktienindex (als Maßstab für das Kursniveau*und die Kursbewegungen) — anderswo ein empfindlicher Seismograph der Wirtschaft — hatte in Wien deshalb seit Jahren den Charakter einer statistischen Pflichtübung. Ungeachtet aller Beteuerungen, welche wichtige Funktion eine funktionierende Aktienbörse für die Finanzierung einer modernen Industriestruktur habe, verharrte die Wiener Börse im Dämmerzustand.

Letztes Jahr kam nun doch unverhofftes Leben in die Wiener Börse. Es gab die Neueinführung zweier inländischer Aktien (anderswo eine Routine, in Wien fast schon eine Sensation) und in der Folge ungewohnte Kursund Umsatzsprünge. Wer richtig schaltete, konnte plötzlich auch in Wien attraktive Kursgewinne — bis zu 66 Prozent! — realisieren.

Seit Jahresbeginn hat die Wiener Börse nun noch einmal zugelegt: Mit 225 Millionen Schilling erreichte der Aktienumsatz einen neuen Höchstwert, der von der Wiener Börsekammer errechnete Aktienindex stieg seither um rund 25 Prozent — und damit stärker als in den letzten fünf Jahren zusammen.

Diese kaum mehr erhoffte Belebung der Wiener Börse wird von Insidern auf die Ankündigung von Finanzminister Franz Vranitzky, die steuerliche Diskriminierung der Aktie (die Gewinne werden einmal im Unternehmen und dann ein zweites Mal beim Bezieher der Dividende besteuert) zu beseitigen, und plötzliches Kaufinteresse von Ausländern zurückgeführt.

Was auch immer die Gründe sind: Man sollte den Börsefrühling nutzen. Er trifft nämlich nicht nur mit einer erfreulichen Konjunkturbelebung, sondern auch mit dem seit Jahren ernsthaftesten Versuch zusammen, bisher als ehern geltende aber wirtschaftlich unhaltbare Industriestrukturen (beispielsweise im Eisen- und Stahlbereich) aufzugeben und die Gründung von neuen Unternehmen zu forcieren. Dafür sind Börse und Aktie nach wie vor das beste und seit über 100 Jahren bewährtes Finanzierungsinstrument. Alle Surrogate hingegen stoßen, wie sich jetzt beim Genußschein zeigt, sehr bald an eine Grenze.

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