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Auf dem Weg nach vorn

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Börsen sind organisierte Märkte für vertretbare Waren und Wertpapiere.“ — So etwa lautet die Schulbuchdefinition. Die Grundfunktion der Börse ist immer noch Markt zu sein, also Angebot und Nachfrage zusammenzubringen und auszugleichen.

Die meisten Börsen entstanden aus formlosen Kaufmannszusammenkünften. Organisation und Börsengebäude folgten in der Regel erst nach. So begann die New York Stock Exchange, die wohl berühmteste Börse der Welt, Ende des 18. Jahrhunderts mit dem Handel in Staatsanleihen unter einer Platane. Später übersiedelten die Händler in ein Kaffeehaus. Daraus entwickelte sich die heutige Börse, ein Markt, auf dem 1987 Wertpapiere im Gesamtkurswert von rund 21 Billionen Schilling umgesetzt wurden. Dabei wurde die New Yorker Börse noch von der Börse in Tokio übertroffen, die 35,3 Billionen Schilling umgesetzt hat. Die Wiener Börse kam hingegen 1987 nur auf 123 Mü-liarden Schilling Umsatz. Sie zählt noch immer zu den kleinsten Börsen der Welt, obwohl auch sie in den letzten Jahren einen starken Umsatzanstieg aufzuweisen hatte. Noch 1984 betrugen die Umsätze nur 28,6 Milliarden Schilling.

Diese großen Umsätze können Börsen nur mit einer hochentwik-kelten Marktorganisation bewältigen. Die Handelsbedingungen der Börsen (Börsenusancen) standardisieren Waren und Wertpapiere sowie die Geschäftsabschlüsse weitgehend. Eigene Zulassungsverfahren für Börsenbesucher garantieren generell die Bonität der Marktteilnehmer. Auch die Zulassungsverfahren für Wertpapiere dienen dem Verkehrsschutz an den Börsen.

Neben den Informationen anläßlich der Börseneinführung im Börseneinführungsprospekt werden den Emittenten auch laufende Berichte über ihre Geschäftsentwicklung abverlangt, die eine Beurteilung der börsennotierten Werte ermöglichen sollen. Eigene Einrichtungen sorgen für die rationelle und sichere Erfüllung der an den Börsen abgeschlossenen Geschäfte. Diese sind meistens Clearingsysteme. Wertpapiersammelbanken ermöglichen dabei einen urkundenlosen Wertpapierverkehr, ähnlich dem bargeldlosen Zahlungsverkehr. Gerade auf diesem Gebiet brauchen die österreichischen Einrichtungen keinen Vergleich mit dem Ausland zu scheuen. Das österreichische Arrangementsystem, von der Oesterreichischen Kontrollbank betreut, arbeitet seit zehn Jahren vollautomatisch und war allen rasanten Umsatzausweitungen der letzten Jahre gewachsen. Dies war bei den ausländischen Börsen-Clearingsystemen nicht immer der Fall.

Ohne Computereinsatz hätten die Börsen der Welt die stark gestiegenen Umsätze jedoch kaum bewältigen können. Der Computer erledigt heute nicht nur die Abrechnung, sondern unterstützt an den meisten Börsen auch bereits das Handelssystem. Ein computerunterstütztes Handelssystem wird auch im Herbst an der Wiener Börse seinen Probebetrieb aufnehmen. Orders können dann von Bankstellen in ganz Österreich auf elektronischem Weg in den Börsesaal überspielt werden (Orderrouting). Den amtlichen Vermittlern an der Börse, den Sensalen, wird ein „elektronisches Orderbuch“ die Arbeit erleichtern. Was bisher in das Arbeitsbuch geschrieben wurde, wird nun wohlgeordnet auf einem Büdschirm erscheinen.

Obwohl immer wieder vom Geheimnis der Börse gesprochen wird, sind Börsen doch die informationsfreudigsten Märkte überhaupt. Die Kurse werden nicht nur ermittelt, sondern auch allgemein verbreitet. Börsen geben heute auch die den Kursen zugrunde liegenden Umsätze bekannt. Das macht die Information viel aussagekräftiger. Auch die Wiener Börse veröffentlicht seit einigen Jahren die täglichen Umsätze in den am meisten gehandelten inländischen Aktienwerten. Aber nicht nur Kurse und Umsätze werden prompt veröffentlicht und durch eigene Börsennachrichtensysteme elektronisch weltweit verbreitet.

Moderne Börsen erstellen auch ausführliche Statistiken über ihren Markt. Aktienindices geben ein Gesamtmarktbild und werden, wie zum Beispiel der Down-Jones Index, als wichtiger Wirtschaftsindikator angesehen. Die Entwicklung des Wiener Aktienmarktes wird durch drei täglich errechnete Aktienindices angezeigt.

Man sägt, die Börse war lebhaft öder flau, und meint damit die „Stimmung“ an der Börse. Als „Clearinghaus der Meinungen“ ist die Börse auch Stimmungsbarometer der Wirtschaft, da vor allem wirtschaftliche Erwartungen in die Geschäftsabschlüsse und damit in die Kurse einfließen. Diese Barometerfunktion trifft besonders auf jene großen Börsen der Welt zu, die als Kapitalmärkte für ihre Volkswirtschaft repräsentativ sind. Die Börsenkapitali-sation (Anzahl der notierten Aktien zum Kurswert) beträgt an den Börsen in New York, London und Tokio jeweüs mehr als 50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, in Wien hingegen nur rund sechs Prozent.

Börsen haben aber auch wichtige volkswirtschaftliche Funktionen bei der Kapitalbeschaffung. Ausgereifte Finanzierungsinstrumente wie insbesondere die Aktie und eine hochentwickelte Marktorganisation wie die der Börsen ermöglichen die Kapitalaufbringung im großen Umfang. Dadurch können sich Unternehmer das benötigte Eigenkapital beschaffen.

Auf diesem Gebiet hat in Österreich 1985 ein Umdenkprozeß eingesetzt. Allgemein wurde anerkannt, daß die österreichische Wirtschaft eine bessere Eigenkapitalausstattung benötige. Der Finanzminister setzte durch steuerliche Maßnahmen — Milderung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung der Aktie, Möglichkeit zum steuerbegünstigten Erwerb junger Aktien - ebenfalls deutliche Zeichen. Noch haben erst rund zwei Prozent der Österreicher Aktien. Zwischen 1984 und Mai 1987 kamen jedoch immerhin 19 österreichische Gesellschaften mit ihren Aktien neu an die Börse, darunter die ÖMV als erstes teü-privatisiertes verstaatlichtes Unternehmen. Hierzu kommt noch die Notierung von 13 Partizipationsscheinen von Kreditunternehmungen und Versicherungen. Im Juni werden die Aktien der AUA sowie weitere private Gesellschaften folgen. Wohl wird durch den Verkauf „alter“ Aktien durch den Großaktionär für die Gesellschaft kein neues Kapital beschafft. Es wird jedoch der Gesellschaft der Zugang zu Eigenkapital über die Börse grundsätzlich eröffnet. Sie kann dann Marktchancen durch Kapitalerhöhungen nützen und ist bei Finanzierungsüberlegungen nicht allein auf Fremdkapital oder die Innenfinanzierung angewiesen.

Der Autor ist Generalsekretär-Stellvertreter der Wiener Börsekammer.

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