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In „Bonzograd“ pflegt man einen kapitalistischen Lebensstil

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Während sich die werktätige Bevölkerung in der DDR mit einem bescheidenen Lebensstil zufrieden geben muß und sich aus finanziellen Gründen oder der Versorgungsschwierigkeiten wegen oft nicht den kleinsten Luxus leisten kann, leben die Spitzenfunktionäre der DDR, abgeschirmt, in ihrem Wohlstand. Am Ufer des Wandlitzsees, 15 Kilometer nördlich Berlins, wurde für die Führungsspitze der SED eine Idylle geschaffen, in der man propagierte Sparsamkeit und materiellen Verzicht nicht kennt. Hier treibt der materielle Reichtum Blüten, hier lebt das Politbüro der SED. Uber dieses Prominentenreservat wurden jetzt Einzelheiten bekannt.

Der mitteldeutsche Volksmund nennt die von hohen Mauern umgebene Prominentensiedlung im Ortsteil Wandlitzsee schlicht und einfach „Bonzograd“. In zweistöckigen Villen mit zehn bis zwölf Zimmern und luxuriöser Ausstattung leben hier etwa zwanzig auserwählte SED-Spitzenfunktionäre wie in einer anderen Welt. Ausgestattet mit einem eigenen Kulturhaus, mit Restaurants, Bar, Kino, Bibliothek, einem Schwimmbad, das im Sommer automatisch in ein Freibad verwandelt werden kann, mit Massageräumen, Frisier- und Kosmetiksalons, Kindergärten und Spezial-ärzten, Schieß- und Tennisplätzen ist dieses Prominentenreservat ein abgegrenzter Staat im „Land der Arbeiter und Bauern“.

Von der Außenwelt militärisch abgesichert - eine Mauer aus Stahlbetonplatten, die nachts mit Scheinwerfern angestrahlt wird, umzäunt die Prominentensiedlung -, geht die DDR-Prominenz, unbeobachtet von der Bevölkerung, in „Bonzograd“ ihren Vergnügungen nach. Eine Spezial-truppe des Staatssicherheitsdienstes sorgt dafür, daß kein ungebetener Gast, keine unbefugte Person das Reservat der SED-Spitzenfunktionäre betritt. Alle in „Bonzograd“ bedienst-eten Personen - von der Hausdame bis zum Gärtner - sind zuverlässige Regime-Anhänger. Sie wurden mit besonderen Ausweisen ausgestattet, die zum Betreten der Prominentensiedlung berechtigen. Schon weit vor der eigentlichen Sperranlage weisen MG-Stellungen, Schlagbäume und Stacheldrahtverhaue darauf hin, daß man sich der Privatsphäre jener nähert, die „gleicher“ sind als die Gleichen.

Eine besondere Attraktion „Bonzograds“ ist die Warenverkaufsstelle. Hier ist von einer Warenknappheit oder von Versorgungsmängeln nichts zu spüren. Jede Ware ist zu haben, und wenn nicht, kann sie auf Bestellung kurzfristig besorgt werden. Auffallend ist in diesem Super-Markt das reichhaltige Angebot von westlichen Erzeugnissen. In Originalverpackungen kann man hier Bohnenkaffee und Zigaretten aus der Bundesrepublik oder Konserven aus den USA zu verhältnismäßig niedrigen Preisen kaufen. Fast alle Konsumgüter des täglichen Bedarfs, wie elektrische Haushaltsgeräte, Kosmetika, Körperpflegemittel und Synthetics, aber auch Textilien und kostbare Lederwaren, Pelzbekleidung und Schmuckwaren, werden offiziell als Erzeugnisse westlicher Länder zum Verkauf angeboten.

Aber auch die luxuriöse Ausstattung der Villen vieler Politbüro-Mitglieder, die in „Bonzograd“ wohnen, wurde größtenteils aus dem „kapitalistischen Westen“ importiert. Ein Beispiel dafür bietet die 10-Zimmer-Villa des Politbüromitgliedes Albert Norden. Die Täfelung der Zimmer besteht aus afrikanischen Edelhölzern, die in der DDR unerhältlich sind. Die Leuchten wurden in Belgien erstanden. Die gesamte Badezimmereinrichtung lieferte eine Firma in Frankreich. Sein Herrenzimmer kaufte Norden in der Schweiz, und die Teppiche kamen aus der Türkei. Der hochherrschaftliche Lebensstil ist aber nicht nur in der Villa von Albert Norden anzutreffen. Auch die übrige DDR-Prominenz führt in „Bonzograd“ ein sehr aufwendiges Leben. Den Untertanen freilich wird erzählt, wie verderblich der kapitalistische Lebensstil in den westlichen Staaten ist. Die Privatsphäre der DDR-Prominenz bestätigt jedoch, daß heute kein SED-Spitzenfunktionär mehr gewillt ist, auf materiellen Reichtum und Dolce vita zu. verzichten.

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