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Digital In Arbeit

Nichts als Kundendienst

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Kaum war das Wort von ORF-Generalintendant Gerd Bacher am 21. Oktober ausgesprochen, war es auch schon Streitthema in der Publizistenbranche: Mit „Teletext“ sollen den Fernsehern Österreichs ab 1980 zu beliebiger Zeit auf ihre TV-Schirme abberufbare Informationen über Theater- und Rundfunkprogramme, Wetter- und Straßenzustand, Kochrezepte, Kinopremieren u. a. angeboten werden. Die FURCHE hat je einen namhaften Vertreter der 'beiden Kontrahenten - ORF und Zeitungsverleger - um eine Stellungnahme gebeten.

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Kaum war das Wort von ORF-Generalintendant Gerd Bacher am 21. Oktober ausgesprochen, war es auch schon Streitthema in der Publizistenbranche: Mit „Teletext“ sollen den Fernsehern Österreichs ab 1980 zu beliebiger Zeit auf ihre TV-Schirme abberufbare Informationen über Theater- und Rundfunkprogramme, Wetter- und Straßenzustand, Kochrezepte, Kinopremieren u. a. angeboten werden. Die FURCHE hat je einen namhaften Vertreter der 'beiden Kontrahenten - ORF und Zeitungsverleger - um eine Stellungnahme gebeten.

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Angesichts der vielen Besorgnisse, Warnungen und düsteren Prophezeiungen, die manche Zeitungen zum Thema „Teletext“ äußern, drängt sich die Frage auf: „Warum tut sich das der ORF eigentlich an?“. Warum überhaupt die Partnerschaft Print- medien-ORF einer Belastungsprobe aussetzen? Denn daß die Mehrheit der Zeitungsverlage mit Teletext keine Freude hat und vom Medienpartner ORF, dem sie einst mit einem Volksbegehren auf die Sprünge geholfen hat, alles, nur nicht Teletext erwartet, ist offenkundig. Warum also Teletext?

Die Antwort darauf ist ebenso einfach wie für die betroffenen Zeitungsherausgeber wahrscheinlich dem Grunde nach unbefriedigend: Der ORF darf, kann und will sich auch in dieser Frage nicht wie ein „Monopolist“ gebärden, der darüber bestimmt, was sein Publikum bekommt und was nicht. Jede nur mögliche Innovation muß an das Publikum weitergegeben werden, jede Möglichkeit zum Kundenservice, den Fernsehzuschauern dienstbar zu sein, muß genutzt werden.

Anders gefragt: Gesetzt den Fall, Teletext berührte nicht die Interessen der Zeitungen - wären es dann nicht gerade die Zeitungen, die vorn ORF lautstark im Interesse der Zuschauer Teletext mit „Volksabstimmungen“ erzwingen würden …?

So wie der ORF das Farbfernsehen in dem Augenblick eingeführt hat, als die technischen Voraussetzungen dafür gegeben waren (auch gegen manche Widerstände, wie man sich noch güt erinnern kann), darf jetzt den Österreichern Teletext nicht vorenthalten werden.

Für die ungemein kompliziert und komplex gewordene elektronische Kommunikationslandschaft ist bezeichnend, daß auch eine Sprachenverwirrung von babylonischem Ausmaß herrscht. „Teletext“, „Videotext“ und „Bildschirmzeitung“ sind Begriffe, die meist synonym verwendet werden, wiewohl essentielle Unterschiede zwischen Teletext einerseits, Bildschirmzeitung und Bildschirmtext anderseits bestehen.

Die über Telefon oder andere Leitungen distributierte Bildschirmzeitung mit der Möglichkeit, aus einem mehrere tausend Seiten umfassenden Angebotspaket in Bruchteilen von Sekunden zu jeder beliebigen Tages- oder Nachtzeit Informationen (auch gegen Verrechnung!) abrufen zu können, ist grundsätzlich etwas anderes als ein (in der Praxis) auf 100 Seiten Umfang je Femsehkanal beschränktes Teletextsystem, das zu seiner Distribution laufende Fernsehprogramme und Fernsehsender braucht.

Je ein Teletextbild wird zwischen sechs bzw. zwölf Fernsehbildern transportiert - für 100 Teletextseiten braucht man also 600 oder 1200 Fernsehbilder, je nachdem, ob es sich um Teilbilder oder Vollbilder handelt - und wer beispielsweise die Seite 98 zu einem Zeitpunkt verlangt, da gerade die Seite 99 durch den Äther transportiert wird, muß eben 99 Seiten lang warten, bis die angewählte Seite wieder zur Ausstrahlung dran ist. Daraus ergibt sich die sogenannte Zugriffszeit - bei 100 Seiten im Durchschnitt 13 Sekunden (wenn man Pech hat, kann das auch länger dauern). Diese systemimmanente

Problematik hat in der Praxis längst dazu geführt, daß maximal 100 Teletextseiten angeboten werden.

Von den technischen Möglichkeiten her bieten sich also für die Zeitungsherausgeber die über Telefonleitung oder Kabel angelieferten Systeme, wie Bildschirmtext und Bildschirmzeitung, unvergleichlich stärker an als Teletext, der vom Fernsehen im „Rucksackverfahren“ mittransportiert wird.

Bildschirmtext und Bildschirmzeitung hingegen haben mit Rundfunk nichts zu tun - bestenfalls mit Rundfunkgeräten, da auch dieses Angebot über - handelsübliche Fernsehgeräte zu Hause sichtbar gemacht werden kann (was freilich pure Verschwendung bedeutet, denn es würden auch Monitore genügen - ohne den komplizierten Rundfunkempfangsteil).

Bleibt noch die Frage, was der ORF über Teletext anbieten wird. Auch hier befriedigt die Antwort (in der Hauptsache „programmbegleitende und programmergänzende Information und Kundendienst“) zunächst offenkundig nicht ganz. Es bleibt die Befürchtung, der ORF könnte eines Tages mehr, nämlich Information im Sinne von „Newsvermittlung“ liefern wollen. Auch hier gibt es neben der technischen Unmöglichkeit, ein Anbot zu erstellen, das den Zeitungen ernstlich Konkurrenz machen könnte (pro Teletextseite haben theoretisch 23 Zeilen ä 40 Anschläge Platz - wirklich lesbar wird aber erst eine Seite, wenn sie 12 bis 15 Zeilen enthält!), noch einen anderen praktischen Grund:

Diese Art von Information besorgen in allen Hörfunk- und Fernsehprogrammen eigenständige Redaktionen įn dichter Folge (stündlich in ö 3!). Warum sollte also die knappe und darum „kostbare“ Teletext-Kapazität, die für die Programmpromotion und das Kundenservice dringend gebraucht wird, zugunsten eines umfassenden Informationsdienstes, den es ohnedies bereits gibt, verringert werden? Noch dazu, wo sich vom technischen System her Teletext nur für Schlagzeilen und Kür- zestmeldungen eignet?

Am Beginn des Fernsehens in Österreich vor nun bald 25 Jahren wurde das neue Medium arg unterschätzt (wer wird schon „in das Kasti“ schauen?). Einige Jahre später wurde dann das Fernsehen arg überschätzt - Zeitungssterben wurde prophezeit und das Fernsehen wurde zum politisch-gesellschaftlichen Sündenbock.

In der Zwischenzeit sind die Zeitungen nicht von der Medienszene verschwunden, sondern haben im Gegenteil einen Auflagenboom erlebt. Und daß das Fernsehen weder Regierungen machen noch stürzen kann, ist auch zweifelsfrei klargestellt. Man kann also ruhig darauf Wetten abschließen, daß auch Teletext keine existenzielle Bedrohung für irgend jemanden darstellen wird.

Der Autor ist Leiter der Abteilung Koordination und Kommunikation des Österreichischen Rundfunks.

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