6891655-1979_47_24.jpg
Digital In Arbeit

Fernsehen oder Femlesen?

19451960198020002020

ORF-Generalintendant Gerd Bacher hielt vor der Steirischen Akademie im Rahmen des Steirischen Herbstes einen Vortrag über aktuelle Medienprobleme, dem wir - gekürzt - Bachers Äußerungen über neue Technologien und deren Konsequenzen entnehmen.

19451960198020002020

ORF-Generalintendant Gerd Bacher hielt vor der Steirischen Akademie im Rahmen des Steirischen Herbstes einen Vortrag über aktuelle Medienprobleme, dem wir - gekürzt - Bachers Äußerungen über neue Technologien und deren Konsequenzen entnehmen.

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn sich der Journalismus - egal ob Druck oder Funk - nicht immer mehr in einer Teufelsspirale verfangen will, deren Motto „mehr Durchsatz ist gleich mehr Absatz“ lautet, muß er als erstes energisch auf die Bremse treten, was Quantität betrifft.

Wenn schon Karl Kraus die Zerstörung der Aufnahmefähigkeit des Publikums befürchtet hat (er starb 1936, in jenem Jahr, in dem der Versuchs- femsehsender „Paul Nipkow“ die ersten großen Übertragungen von den Berliner Olympischen Spielen durchführtej - um wieviel mehr muß das heute gelten, an der Schwelle des lawinösen Angebotes der Informationstechnologie.

In diesem Zusammenhang sind auch die allerwichtigsten neuen Technologien zu berücksichtigen. Am aktuellsten - besonders auch für den innerösterreichischen Gebrauch - ist hier Teletext. Das ORF-Kurato- rium hat uns bekanntlich einstimmig die Genehmigung erteilt, ab Jänner 1980 Teletext über beide Femsehka- näle abzustrahlen. In den letzten Wochen ist in Sachen Teletext ein Dogmenstreit entstanden: über die Frage, ob Teletext Rundfunk sei oder ob es sich um ein „Lesemedium“ handle, das an sich Zeitungssache wäre. Der ORF versucht, so gut es geht, sich aus diesem Dogmenstreit herauszuhalten, wir haben den Zeitungsheraus- gebem Zusammenarbeit angebotdn, und ich persönlich bin optimistisch, daß es zu dieser Zusammenarbeit kommen wird.

Teletext - seit Jahren zum Beispiel in Großbritannien im Gebrauch - ist eine zusätzliche Dimension bestehender Fernsehprogramme, so wie die Stereophonie die Dimension des Hörfunks und die Farbe jene des Fernsehens erweiterte. Teletext läuft bekanntlich im „Rucksackverfahren“ in der sogenannten „Austastlücke“ des Femsehsignals mit, ist ein technischer Fortschritt, der selbstverständlich unserem Püblikum zugänglich zu machen ist.

Nach dem geltenden Rundfunkgesetz sind wir ohne den geringsten Zweifel berechtigt, Teletext zu veranstalten; wir sind zum Unterschied von den bundesrepublikanischen Femsehanstalten auch die alleinigen Eigentümer der Sender. (In der Bundesrepublik könnte eventuell die Post, der ein Großteil der Sender gehört, eine Rechtsfrage daraus machen, was mit „ihrer“ Austastlücke geschieht.)

Angesichts dieser Rechtslage und der wichtigen Tatsache, daß Teletext von uns kostenlos abgegeben werden kann, würde es unser Publikum nicht verstehen, wenn wir ihm aus medienpolitischen Gründen einen möglichen und im Ausland schon praktizierten Kundendienst vorenthielten. Der verständliche Wunsch der Zeitungsherausgeber, an den elektronischen Technologien teilzuhaben, kann nicht zu Lasten des ORF-Publi- kums durch Verzicht auf Teletext kompensiert werden.

Die Forderung nach Teilhabe an diesen Technologien ist an die politischen Parteien und nicht an den ORF zu richten: Die Post kann mit ihrem Bildschirmtext die Forderung der Zeitungen erfüllen. Der Unterschied zwischen Teletext und Bildschirmtext ist sehr einfach: beide finden auf dem Bildschirm des häuslichen Fernsehgerätes statt, doch ist Teletext ein Teil des Fernsehprogramms und wird als solcher kostenlos verteilt, während Bildschirmtext wie das Telephon gegen gesonderte Ge bühr (oder auch kostenlos) jederzeit vermittelt werden kann. Die Möglichkeiten des Bildschirmtextes - auch im Umfang des Angebotes - sind daher auch unendlich größer als jene von Teletext.

Es gibt keine typischen Femsehin-halte und keine typischen Zeitungsinhalte. Eine gute Zeitung beinhaltet wie ein gutes Fernsehprogramm die ganze Welt. Zu unterscheiden sind die Medien nicht hinsichtlich ihres Inhalts, sondern ausschließlich hinsichtlich der Natur ihrer Nutzung und Verfügbarkeit. So wenig wie Fernsehen Kino ist, weil es Kinofilme spielt, so wenig ist Fernsehen Zeitung, wenn es „Zeitungsinhalte“ gibt.

Zu den Diskussionspunkten, die sich aus der Entwicklung der „neuen Medien“ ergeben, gehört auch die Frage nach der möglichen Funktion von Breitband-Kommunikationssystemen. Die moderne Kabeltechnik bietet ja die Möglichkeit, nicht nur Femseh- und Hörfunkprogramme auf internationaler, nationaler und lokaler Basis ins Haus zu liefern, sondern auch durch die Schaffung von Rückkanälen zu echter Zweiweg- Kommunikation zu kommen. Durch Baum- und Sternschaltungen kann überdies der Zwang zu mannigfachen Informationsdiensten eröffnet, und der Weg zu Konferenzen über Bildtelephon freigemacht werden. Rein technisch gesehen, gibt es kaum mehr eine Begrenzung der Einsatzmöglichkeiten. Das Problem liegt vielmehr in den politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen.

Umzingelt von technologischer Euphorie, ist vielleicht der Hinweis doch ganz interessant, daß der Zweiwegkanal unsere repräsentative Demokratie zu einer plebeszitären Demokratie umfunktionieren könnte, obwohl in der Verfassung ganz etwas anderes steht.,

Zusammenfassend: Die Medien sind weder Ersatz für eine funktionierende parlamentarische Opposition, noch haben sie Handlanger einer solchen zu sein. Die Kontroll- und Kritikfunktion der Massenmedien bezieht sich keineswegs nur auf die Regierung beziehungsweise die Regierungspartei, sondern auf alle Aspekte des politischen, wirtschaft lichen und kulturellen Lebens. Die Medien haben den Grundkonsens über das gesellschaftliche System, in dem sie wirken, zur Voraussetzung ihrer Existenz und Wirksamkeit. Die Medien sind Spiegel der demokratischen Auseinandersetzung auf dem Boden der Bundesverfassung, nicht aber Hebel zur Überwindung der bestehenden Ordnung, kollektive Sinnstifter oder Instrumente der Zwangsbeglückung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung