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Der Historiker Harold James warnt im Handelsblatt vor der im Wahlkampf in Frankreich steigenden Radikalisierung der Politik der großen Parteien.

In den vergangenen beiden Jahren haben die Finanzmärkte nacheinander mehrere Länder in das Zentrum eines scheinbar nicht zu stoppenden europäischen Erdbebens gerückt: Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien. Gleichzeitig sahen Politiker als Herz des europäischen Projekts die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland an.

Im Jahr 2012 gab bisher der Tango von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und Bundeskanzlerin Merkel den Takt vor - das Paar wurde ja auch "Merkozy“ genannt. Der linke Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon aber hat ebenso wie die Rechtspopulistin Marine Le Pen anti-deutsche Rhetorik zum Kern des jeweiligen Wahlkampfs gemacht. Der gemäßigt linke Kandidat François Hollande, der nun die Wahl zu gewinnen scheint, ist ganz ähnlich vorgegangen. Immer wieder hat er die Strenge der Europäischen Zentralbank in Kontrast gesetzt zur Flexibilität der britischen und der amerikanischen Notenbank; "Flexibilität“ ist hier eine hübsche Umschreibung für die Bereitschaft, Geld zu drucken.

Zwei Jahre der Staats-Folie

Linke französische Politiker sehen sich schnell als Opfer finanzieller Machenschaften. Schon im Jahr 1924 traf eine Flucht aus dem Franc das "Cartel des Gauches“, eine Koalition sozialistischer und bürgerlicher Kräfte. Die Linke hielt das damals für eine von der französischen Notenbank organisierte Aktion. Im Jahr 1936 kam es dann unter Léon Blum zur "Volksfront“ zwischen Kommunisten und Sozialisten. Sie drückte Lohnerhöhungen und kürzere Arbeitszeiten durch. Wieder brach eine Franc-Krise aus - und nach zwei Jahren waren wieder die Rechten an der Macht.

Der bisher jüngste Akt in diesem Langzeit-Drama begann mit François Mitterand im Jahr 1981. Er experimentierte zwei Jahre lang mit einer sozialistischen Wirtschaft. Banken wurden verstaatlicht und Löhne erhöht - und wieder gab es eine Flucht aus dem Franc. Die Regierung musste Kapitalverkehrskontrollen einführen. Sogar die Summen, die Franzosen als Touristen ins Ausland mitnahmen, wurden begrenzt.

Zurück nach Europa

Doch nach zwei Jahren stand Mitterand vor einer dramatischen Entscheidung. Sollte Frankreich weiter den Weg des "Sozialismus in einem Land“ gehen? Oder erforderte die europäische Integration eine Kehrtwende? Der damalige Finanzminister Jacques Delors schaffte die Wende. Er brachte Frankreich zurück nach Europa - und zum starken Franc.

Voraussetzung dieser Kehrtwende waren allerdings tiefgehende Veränderungen in Europa. Die Europäische Kommission befürchtete, die Franzosen würden das Währungssystem ablehnen. Um die Sozialisten in Paris zu überzeugen, musste Frankreich daher größeren Einfluss auf die deutsche Geldpolitik bekommen. Die Notenbanker in Frankfurt waren entsetzt. Die Kommission erklärte ihnen jedoch, ihr Kampf für Stabilität sei zu erfolgreich gewesen - und daher politisch nicht durchzuhalten. So kam ein Pakt zustande: Die deutsche Sparpolitik sollte abgemildert werden, und Frankreich sich dafür mit Haushaltsregeln befassen.

Die Obergrenze für Defizite von drei Prozent des Bruttoinlandprodukts war auch eine Folge des Traumas von Mitterands Experiment. Delors kalkulierte diesen Prozentsatz 1983 als Obergrenze, um die Währung stabil zu halten - 1990 wurde er dann einfach ins europäische Regelwerk übernommen.Kommt diesmal auch eine Wende, oder geht der Weg in eine Sackgasse? Die Finanzmärkte sind heute viel aggressiver als 1981. Für zwei Jahre Experimente bleibt keine Zeit.

* Aus Handelsblatt, 24. April 2012

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