"Hebammen" des Friedens

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Gewaltfreiheit konkret: Auch wenn sie - im Gegensatz etwa zu Martin Luther King - wenig bekannt sind, gehören Jean Goss (1912-91) und Hildegard Goss-Mayr (* 1930) zu den weltweiten Pionieren für Gerechtigkeit und Frieden.

Jean Goss, 1912 in Lyon geboren, war seit seiner Jugend Gewerkschafter und im 2. Weltkrieg mehrfach ausgezeichneter Soldat im französischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus, ehe er in der Osternacht 1940 seine Bekehrungserfahrung machte. In diesem Augenblick erkannte er, dass die Liebe zu allen Menschen, wie sie durch Jesus Christus vorgelebt worden war, der Schlüssel zur Veränderung seines Lebens und der ganzen Welt war, und dass diese Liebe in der Achtung der Würde jedes Menschen als von Gott geliebtem besteht und nur durch die Kraft der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Gewaltfreiheit gelebt werden kann.

Langjähriges Ringen

Hildegard Mayr wurde 1930 als Tochter von Kaspar Mayr, einem der ersten Katholiken in der ökumenischen Friedensbewegung des Internationalen Versöhnungsbundes, in Wien geboren und in ihrer Jugend ebenfalls sehr stark durch die "dämonischen Kräfte des Bösen", wie sie ihr im Hitler-Regime begegneten, geprägt. In einem langjährigen Ringen um ihren Lebensweg war sie 1953 soweit zu sagen, dass sie sich ganz in den Dienst der Leben schaffenden Liebe Gottes und der Nachfolge Jesu stellen wollte, und begann mit ihrer Arbeit im Internationalen Versöhnungsbund, wo sie noch im selben Jahr das erste Mal Jean Goss begegnete. 1958 heirateten die beiden und wirkten gemeinsam bis zum Tod von Jean 1991 im Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung durch aktive Gewaltfreiheit in vielen Ländern der Welt. Einige Beispiele dieses Engagements für die Verbreitung der Gewaltfreiheit durch Bildungs- und Trainingsarbeit sowie durch konkrete gewaltfreie Aktionen sollen in diesem Artikel beschrieben werden.

Der erste langjährige Schwerpunkt der Arbeit von Jean und Hildegard Goss-Mayr lag in der Förderung des Dialogs und der Verständigung zwischen Ost und West in einer Welt, die damals zwischen kommunistischem und kapitalistischem Gesellschaftssystem, zwischen NATO und Warschauer Pakt im Kalten Krieg geteilt war.

"Ent-feindung" des Ostens

Von ihrer gewaltfreien, christlichen Basis aus erschien der Einsatz für die Verständigung, für (nukleare) Abrüstung, Entwicklung, Gerechtigkeit und Menschenrechte gleichsam als "dritter Weg" zwischen den verfeindeten Blöcken, und seit der Mitte der fünfziger Jahre bemühten sich Jean und Hildegard, diese Alternative in die Tat umzusetzen. Anfangs standen Begegnungen zwischen Menschen aus Polen, Deutschland und Österreich im Zentrum der Verständigungsarbeit - damals ein Unterfangen, das gegen größte ideologische und bürokratische Widerstände auf allen Seiten Schritt für Schritt entwickelt werden musste und in mühevoller Kleinarbeit nach Jahren und Jahrzehnten auch auf politischer Ebene (Briefe der polnischen und deutschen Bischofskonferenzen, Ost-Politik unter Willy Brandt) langsam Früchte trug.

Ein weiterer konkreter Ansatzpunkt für die Ent-feindung waren die kommunistischen Weltjugendfestspiele, wo der Internationale Versöhnungsbund mehrere Jahre hindurch ein Zeugnis für die Gewaltfreiheit einbrachte. Im August 1957 verteilte Jean Goss am Roten Platz in Moskau Flugblätter, die zur Koexistenz aller Menschen und Nationen, zu einem Nein zu Krieg und Rüstung, zu friedlichen Wegen der Verteidigung und Konfliktlösung sowie zum Abbau von Feindbildern aufriefen und rege Diskussionen auslösten. Zwei Jahre später fanden die Jugendfestspiele gegen den Widerstand diverser katholischer Organisationen in Wien statt. 30 junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Versöhnungsbundes organisierten im "Zentrum für soziale und internationale Verständigung", dem Büro des Versöhnungsbundes in der Schottengasse, Gespräche und Begegnungen zwischen Jugendlichen unterschiedlicher Weltanschauungen und aus akuten Konfliktgebieten (z.B. Algerien-Frankreich, Naher Osten...).

Wie sehr oft beim gewaltfreien Engagement brachte die Ost-West-Verständigung wenig schnelle und direkt sichtbare Ergebnisse auf höchster Ebene, sondern versuchte, den Boden für Veränderungen an der Wurzel zu bereiten und Menschen in ihrem tiefsten Menschsein - egal welcher ideologischen Zugehörigkeit - anzusprechen. Dennoch darf der Einfluss, den die gewaltfreie Arbeit von Hildegard und Jean Goss in Osteuropa auf den Verlauf der "Wende" 1989 hatte, wohl nicht unterschätzt werden.

Philippinen 1986

Während ihr Engagement in Lateinamerika in den sechziger und siebziger Jahren geprägt war von der Frage, ob die als notwendig erachtete Revolution für mehr Gerechtigkeit wie in einigen Ländern durch einen gewaltsamen Umsturz oder durch gewaltfreie Mittel angestrebt werden solle, war die Tätigkeit des Ehepaares Goss auf den Philippinen 1984-86 vom Kampf gegen die Diktatur von Ferdinand Marcos gekennzeichnet. Nach der Ermordung des Oppositionspolitikers Ninoy Aquino 1983 kam es zu ersten Massenprotesten, und einige Oppositionelle, Kirchenführer und GewerkschafterInnen erkannten die Notwendigkeit, den gewaltfreien Widerstand durch Schulungen zu organisieren, und luden die beiden mehrmals zu Seminaren ein.

Die "Rosenkranzrevolution"

Nach zweijähriger Vorbereitungszeit, während der u.a. die Unterstützung der katholischen Kirche und anderer gesellschaftlicher Gruppen gewonnen werden konnte, kam es im Februar 1986 zu vorgezogenen Präsidentschaftswahlen, denen Marcos aufgrund seines Propagandaapparats, von Bestechung und Wahlbetrug mit Zuversicht entgegen sah. Die gewaltfreie Bewegung, die Corazon Aquino unterstützte, hatte sich jedoch intensiv vorbereitet und führte eine unabhängige Wahlbeobachtung sowie gewaltfreie Aktionen zum Schutz von Wahllokalen und -urnen durch. Die Bilder der Tage von 22. bis 25. Februar gingen um die Welt und unter den Begriffen "People Power" (Macht des Volkes) und "Rosenkranzrevolution" in die Geschichte ein, als Millionen von gewaltfreien DemonstrantInnen die abtrünnigen Militärs durch ihre Präsenz gegen die anrückenden Panzer schützten und schließlich die Abdankung und Flucht von Präsident Marcos erzwangen. Dennoch gelang es Cory Aquino in ihrer Amtszeit nicht, den erfolgreichen gewaltfreien Widerstand in größerem Maße in ein konstruktives gewaltfreies Programm umzusetzen, sodass es nicht zu einer längerfristigen Verbesserung der Lebensumstände breiter Bevölkerungsschichten kam.

Eine ähnliche Situation fand Hildegard Goss-Mayr auch in Madagaskar vor, wohin Jean und sie für April 1991 eingeladen worden waren. Am Vorabend der geplanten Abreise verstarb Jean Goss, die Schulungen in Gewaltfreiheit wurden vom Vorbereitungskomitee zunächst selbständig auf Grundlage von Literatur und Videos durchgeführt und später von Hildegard fortgesetzt. Bereits am 1. Mai 1991 begannen von den oppositionellen "Forces Vives" getragene Massendemonstrationen, die nach einem mehrmonatigen Generalstreik schließlich zur Durchführung freier Wahlen und zur Absetzung des Militärdiktators Ratsiraka führten.

Globale Überzeugungsarbeit

Im Unterschied zu Martin Luther King - mit dem sie v.a. die christliche Basis der Gewaltfreiheit, die universale Achtung und Liebe zu allen Menschen und die Verbindung im Internationalen Versöhnungsbund einte - standen Jean und Hildegard Goss kaum im Licht der Öffentlichkeit an der Spitze sozialer, gewaltfreier Bewegungen, sondern verstanden sich in erster Linie als "Hebammen" für die Kraft der aktiven Gewaltfreiheit unter den Völkern, wie Hildegard Goss-Mayr in ihrem Buch "Wie Feinde Freunde werden" schreibt. Die vorgestellten Beispiele zeigen jedoch, wie wichtig diese Überzeugungs- und Schulungsarbeit für die Erfolge gewaltfreier Aktion und Politik war, auch wenn dadurch nirgends das Ideal einer gerechten, friedvollen und gewaltfreien Gesellschaft vollkommen verwirklicht werden konnte. Wie aber würde die Welt wohl ohne die zahlreichen Veränderungen durch gewaltfreie Persönlichkeiten und Methoden ausschauen?

Der Autor ist Mitarbeiter im Internationalen Versöhnungsbund, österreichischer Zweig.

BUCHTIPP:

WIE FEINDE FREUNDE WERDEN. Mein Leben mit Jean Goss für Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit und Versöhnung.

Von Hildegard Goss-Mayr. Verlag Meinhardt Text und Design, Idstein 1999. 184 Seiten, kt., e 10,50

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