Hilfe für den Südsudan

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Der Südsudan wird unabhängig: Macram Gassis, exilierter Bischof von El Obeid im Nordsudan, freut sich darüber sehr. Doch der Krieg in der Region ist längst nicht zu Ende, im Gegenteil … Das Gespräch führte Otto Friedrich

Die Zahlen offenbaren Schrecklichkeit: 130.000 Flüchtlinge aus dem sudanesischen Norden leben unter Bäumen. Der Südsudan wird unabhängig. Aber die Probleme sind riesig. Und der Krieg - von Darfur bis Süd-Kordofan - geht weiter, erzählt Bischof Macram Gassis.

Die Furche: Am 9. Juli wird die Trennung von Nord- und Südsudan vollzogen. Was wird die Welt nach diesem Datum sehen?

Bischof Macram Gassis: Es ist gleichzeitig ein Ankunftspunkt, aber gleichzeitig auch ein Abfahrtspunkt. Ein Ankunftspunkt, weil die Menschen im Süden sagen: Wir haben erreicht, was wir erhofft haben. Nach so vielen Jahren des Leidens des Tötens sind wir frei und können unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ich habe in diesen Jahren so viel Tod gesehen, so viele Witwen, so viele Waisen, so viele Sklaven … Aber es ist auch ein Abfahrtspunkt, denn die Unabhängigkeit gibt es nicht über Nacht. Wir brauchen eine Menge Geduld, Mut und Ausdauer. Ich zitiere da gern ein arabisches Sprichwort: Schuld einzugestehen ist eine Tugend. Ein schwacher Mensch wird niemals seine Schuld zugeben. Man braucht dazu jemanden, der den Mut aufbringt, Demut und moralische Größe. Genau das ist jetzt von unseren Leuten verlangt.

Die Furche: Welche Rolle spielt die Kirche, beim Aufbau des neuen Staates?

Gassis: Wenn wir Bischöfe uns treffen, dann schauen auch meist die Politiker vorbei. Es gibt also eine Verbindung zwischen uns Bischöfen und den politischen Führern. Wir arbeiten mit den Behörden zusammen - sowohl auf überregionaler wie auf lokaler Ebene, um das wieder aufzubauen, was im Krieg zerstört wurde. Wir engagieren uns nicht nur für eine gute Schul- und Universitätsbildung, sondern auch für eine charakterliche und ethische Bildung künftiger Führungspersönlichkeiten. In diesem Sinn scheuen wir die Nähe zu den politischen Führern nicht. Wir wollen sie ermutigen, aufzuklären, aber wir kritisieren sie auch, wenn sie einen falschen Weg einschlagen. Wir sind mit ihnen besonders in dieser frühen Phase des Prozesses, die Infrastruktur der Gesellschaft aufzubauen. Hier ist die Präsenz der Kirche sehr wichtig.

Die Furche: Es heißt, das größte Problem des neuen Staates sei das Fehlen staatlicher Institutionen und auch von Fertigkeiten, einen Staat zu organisieren. Stimmt das?

Gassis: Ja, wir haben zu wenig Personal, das bestimmte für einen Staat notwendige Funktionen übernehmen kann. Das ist aber nicht der größte Stolperstein: Die Herausforderung für den Südsudan ist der Tribalismus. Man kann eine Nation nicht darauf bauen. In den Kriegsjahren ist das auch im südlichen Sudan ein besonderes Problem geworden. Wir müssen eine Nation werden, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oder religiösen Gemeinschaft.

Die Furche: Die katholische Kirche ist auch eine internationale Institution. Ist ihre internationale Erfahrung da hilfreich?

Gassis: Die Kirche ist nicht nur eine Institution, sie ist auch eine Gemeinschaft. Deswegen bin ich ja hier: Denn die Christen in Österreich unterstützen uns. Ich reise umher und treffe viele Menschen, die bereit sind, uns zuzuhören. Die Kirche in Europa und den USA kann helfen, unsere gebrochene Nation wieder aufzubauen. Natürlich ist Bildung wichtig. Aber was ist mit den Familien? Diese großen, schönen afrikanischen Familien sind zerbrochen durch den Krieg, durch die Entbehrungen, durch den Hunger, durch die Bomben. Und es ist eine wichtige Aufgabe, diese Familien wieder aufzurichten. Wir können das nicht allein tun. Das übersteigt unsere Kräfte. So appellieren wir an unsere Brüder und Schwestern - nicht nur an die Katholiken! -, dem Südsudan zu helfen.

Die Furche: Wie steht es um die Nuba-Völker in der Provinz Süd-Kordofan, die nach der Teilung zum Nord-Sudan gehören soll?

Gassis: Die Nuba-Völker wurden von beiden Seiten ignoriert. Unglücklicherweise haben auch wir Kirchenleute den Kreuzweg der Nuba fast nie thematisiert. Wir haben vor allem darüber geredet, dass das Problem im Sudan zwischen dem "arabisch-muslimischen“ Norden und dem "christlich-animistischen“ Süden besteht. Aber diese Zurodnungen stimmen nicht. So wird der Islam nicht als Religion verstanden, sondern als eine ethnische Realität. Und da leben die Nuba als eine Art Puffer zwischen dem Norden und dem Süden. Sie sind eine afrikanische Ethnie. Die Kirche hat die Pflicht, sich für sie, für die Bewahrung ihrer Bräuche und Sprachen einzusetzen.

Die Furche: Wird sich an der Puffer-Situation nach der Teilung etwas ändern?

Gassis: In Süd-Kordofan gibt es auch Soldaten der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung SPLM. Khartum will, dass diese nach der Teilung ihre Waffen abgeben oder sich in die Armee des Nordens eingliedern. Aber der gegenwärtigen Regierung im Norden wird die SPLM niemals trauen. Nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens von 2005 gab es zwei Optionen: einen Föderalismus oder die Trennung von Norden und Süden. Unglücklicherweise zog Khartum einen autonomen Föderalismus, der für den Süden akzeptabel wäre, nie in Betracht. Die logische Konsequenz ist, dass der Süden nun für die Trennung optiert hat. Und das bekommen sie eben jetzt. Aber Süd-Kordofan wurde dieses Recht auf Sezession nicht zugestanden.

Die Furche: Zuletzt eskalierte der Konflikt in dieser Provinz dramatisch.

Gassis: Es wurde ein Gouverneur und das Regionalparlament gewählt, aber dieses steht unter dem von Khartum. Das Referendum über die Trennung von Norden und Süden lief hier auch nicht korrekt ab - denn es gab keine Volkszählung, welche die Grundlage dafür bilden müsste. Nun wurde ein Gouverneur für Süd-Kordofan aus der Partei der Machthaber in Khartum gewählt, aber wegen der nichtexistenten Wählerlisten erklärte sich auch der Führer der SPLM in Süd-Kordofan zum legitimen Gouverneur. So ist der Krieg in die Nuba-Berge zurückgekehrt. Es gibt Flächenbombardement durch den Norden: Sie bombardieren nicht die Soldaten der SPLM, sondern Unschuldige. Deswegen stehe ich gegen diesen Krieg auf: Als Bischof kann ich über das Leid von Kindern und Frauen nicht schweigen.

Die Furche: Die Regierung in Khartum sagt, die SPLM benutze diese Menschen als lebende Schutzschilde.

Gassis: Das ist nur eine Ausrede, um die Bomben zu rechtfertigen. Es gibt ein moralisches Prinzip: Wenn du im Zweifel bist, dann triff keine Entscheidung. Im Zweifel kann man keine adäquate Entscheidung fällen. Man darf nicht Bomben auf Unschuldige werfen. Und das will ich in jedem Interview, das ich gebe, ans Licht bringen. Ich versuche, die Lage zu erklären. Dass der Süden nun unabhängig wird, macht mich glücklich. Aber es erfüllt mich mit tiefer Sorge, was in den Nuba-Bergen geschieht.

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