Experiment mit open end

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Sicher, es ist nicht selbstverständlich, dass höchste staatliche und religiöse iranische Autoritäten einen katholischen Bischof empfangen. Ein guter Grund dafür aber könnte sein, dass beide Islam und Katholizismus - ähnliche Fragen umtreibt.

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Sicher, es ist nicht selbstverständlich, dass höchste staatliche und religiöse iranische Autoritäten einen katholischen Bischof empfangen. Ein guter Grund dafür aber könnte sein, dass beide Islam und Katholizismus - ähnliche Fragen umtreibt.

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Tief beeindruckt von der hohen menschlichen und religiösen Qualität der Gastfreundschaft im Iran, ja noch ganz im Bann seiner "äußerst spannenden und sehr positiven Reise" nach Teheran. So erschien Kardinal Christoph Schönborn einen Tag nach Beendigung seiner fünftägigen Reise in den Iran am vergangenen Freitag bei einer Pressekonferenz in Wien. Schönborn vermied es dabei tunlichst, die aktuelle politische Situation im Iran zu kommentieren ("Es steht mir nicht zu über Innenpolitik zu urteilen.") und verneinte dezidiert jeden Zusammenhang mit dem Iran-Besuch der österreichischen Außenministerin Benita Ferrero-Waldner. Eine Reise als Bischof, zu Gesprächen mit religiösen Partnern im Kontext des interreligiösen Dialogs, aber nicht mit politischen Agenden beschäftigt - so definierte Schönborn den Anlass seines Besuches im früheren Persien.

Die enge Verquickung von Religion und Politik im Iran lässt eine so eindeutige Trennung dieser beiden Materien aber gar nicht zu. Und so darf es nicht wundern, dass die Fragen der anwesenden Journalisten Schönborn immer wieder zu einer Bewertung des "Gottesstaates" provozieren wollten. Diese fiel zwar gewohnt diplomatisch aus, ist aber trotzdem gerade aus dem Mund eines westlichen Kirchenmannes nicht uninteressant.

Für Schönborn versteht sich die iranische Republik als der "revolutionär begonnene Versuch, die Gesellschaft am Willen Gottes auszurichten". Wieweit dieser Versuch bisher geglückt ist, könne er nicht beurteilen, sagte Schönborn, und ob dieses "Experiment" überhaupt gelinge, werde die Geschichte zeigen. Im Westen wisse man allerdings aus der Historie, wo die Grenzen eines solchen Versuchs liegen. Und Schönborn berichtete weiter, dass er seine iranischen Gesprächspartner auf das in Österreich bestehende und sich bewährende Modell der Kooperation freier Partner ("freie Kirche in einer freien Gesellschaft", Mariazeller Manifest 1952) hingewiesen habe.

Allein aber, dass Schönborn die iranische Revolution als ein mittlerweile zwanzig Jahre andauerndes "Experiment" bezeichnete, dessen Ausgang noch offen ist, lässt darauf schließen, dass der Kardinal nicht ganz unbeeinflusst von der Rechtfertigung und Lesart seiner iranischen Gastgeber über deren jüngere Geschichte, von seiner Reise zurückgekommen ist. "Wir werden sicher nicht mit jeder Lösung und mit jedem Weg, den dieses Land geht, einverstanden sein." Man müsse aber "behutsam mit Vorurteilen" und auch bereit sein, "hinzuschauen und das eine oder andere anzunehmen", hatte sich Schönborn schon vorher in einem Rundfunk-Interview dahingehend geäußert.

Es waren wohl die "wesentlichen Fragen", die Schönborn mit den iranischen Führern erörterte, die den Kardinal zu dieser verständnisvollen und milden Bewertung der islamischen Revolution brachten. Wie gestaltet sich das Verhältnis von Freiheit und Norm? Dieses Thema beherrschte, so Schönborn in der Pressekonferenz, seine Gespräche sowohl mit dem iranischen Staatspräsidenten Mohammed Khatami als auch mit dem Religionsführer Ayatollah Ali Khamenei. Letzterer habe Schönborn gefragt, warum die Kirchen im Westen nicht mehr Prinzipientreue zeigen? Warum nicht der grassierenden Permissivität, dem lockeren Umgang mit Verhaltensnormen mit größerer Entschiedenheit entgegengetreten werde? Und Schönborn gibt Khamenei in diesen Fragen nicht Unrecht. Und es seien auch diese großen Fragen der Gegenwart und Zukunft, die im Iran die Bereitschaft zum Dialog mit anderen verstärkt hätten. Man sei heute bereit, von anderen zu "lernen". Umgekehrt sei es auch für Christen spannend zu sehen, wie der Islam mit vielen Fragen umgehe, sagte Schönborn.

Gemeinsame Antworten Wie der Jugend in Zukunft die Religion als plausiblen Lebensweg vermitteln? Eine weitere Frage die den österreichischen Kardinal und die iranischen Führer umtreibt. Schönborn setzte im Gespräch mit Khamenei auf die Wichtigkeit von religiösen Vorbildern. Dort, wo es diese Vorbilder gebe, wachse auch das Vertrauen, dass die Jugendlichen selbst frei über den richtigen Weg entscheiden können. Im Blick auf das von Kardinal Schönborn angesprochene Thema "Freiheit und Entscheidungsfreiheit" (im Kontext des richtigen Weges für die Jugend) meinte wiederum Khamenei, es gelte, den Weg zwischen den Extremen zu finden: einerseits Diktatur und andererseits völliger "Hedonismus und sittliche Korruption". Beides wirke sich für die junge Generation verheerend aus. Prinzipiell glaube er - so der Ayatollah -, dass die Jugend religiös angesprochen werden wolle. Und letztere Anschauung teilt zweifellos auch der Wiener Kardinal.

"Die Herausforderungen sind uns allen gemeinsam, sie bedürfen der gemeinsamen Antworten", stellte Schönborn in seinem Festvortrag an der Iman Sadr Universität in Teheran fest und zitierte das Wort des iranischen Präsidenten Khatami, dass es Zeit sei, "von der Phase der negativen Toleranz in die Phase der gegenseitigen Hilfe einzutreten". Auf diesem Hintergrund ist es zwar noch immer "nicht selbstverständlich" (Schönborn), dass die beiden höchsten staatlichen und religiösen Autoritäten des Irans einen katholischen Bischof empfangen. Doch es wird zumindest verständlicher, zumal sich Khatami und Khamenei von einem westlichen Bischof wohl mehr Verständnis erwarteten als von vielen westlichen Politikern. Sie dürften mit ihrer Meinung Recht behalten haben.

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